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Die Mutterliebe — historisch gesehen"

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Schon Simone de Beauvoir, und in ihrem Gefolge feministisch orientierte Psychologinnen und Soziologinnen, haben die Mutterliebe als einen der „weiblichen Natur" angeborenen Instinkt in Frage gestellt. ' Die junge französische Philosophin Elisabeth Badinter folgt diesen Spuren in ihrer wissenschaftlich fundierten Studie über die Geschichte der Mutterliebe in den letzten vier Jahrhunderten.

Aus dem grausamen Umgang mit Kindern, besonders im 17. und 18. Jahrhundert, schließt sie, daß die Mutterliebe ein „spätes Produkt" menschlicher Evolution ist, abhängig von den jeweiligen sozialen und kulturellen Gegebenheiten der Zeit.

Laut Bericht eines Pariser Polizeileutnants wurden 1780 von den 21.000 in der Stadt geborenen Kindern knapp 1000 von ihren Müttern gestillt; ebenso viele im Elternhaus von Säugammen versorgt, die übrigen ausgesetzt oder unbekannten Pflegemüttern überlassen. Die Kindersterblichkeit im ersten Lebensjahr war horrend, und die Uberlebenden durften oft nur wenige Jahre im Elternhaus verbringen. Eine persönliche Mutter-Kind-Beziehung konnte sich unter diesen Umständen kaum entwickeln. *

Ein Wandel der mütterlichen Einstellung zu den Kindern begann im 19. Jahrhundert, vorbereitet durch Rousseau und die neuen Erziehungsideen der Aufklärung.

Auch die Psychoanalyse, die die Bedeutung einer primären Bezugsperson für die kindliche Entwicklung betonte, erhöhte den Wert der Mutterliebe, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts dann geradezu verherrlicht wurde, wobei politische und Bevölkerungsprobleme keine geringe Rolle spielten.

Im letzten Kapitel ihres Buches geht die Autorin auf die Krise ein, in die die Mutterschaft heute geraten ist: durch die Berufstätigkeit der Frau, ihre Gleichberechtigungsforderungen und den Anspruch auf persönliche Entfaltung.

Badinter geht in ihrer Analyse von den französischen Verhältnissen aus, die doch wohl symptomatisch sind für die gesamte westliche Welt. In dem Buch rük-ken die Ursachen moderner Generationsprobleme, besonders gestörter Mutter-Kind-Beziehungen ins Blickfeld, die Lösungsmöglichkeiten anregen.

DIE MUTTERLIEBE. Von Elisabeth Badinter. Piper-Verlag, München 1981. 328 Seiten mit Tabellen, geb.. öS 258.50.

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