Was für ein Gegensatz zwischen Schulreform und Leistungsgesellschaft! Schon in der Schule lernten wir, daß Plus und Minus einander aufheben. Damals wußten wir's. Heute nicht mehr. Denn worauf basiert die Schulreform? Nicht das Kind muß sich anpassen, sondern die Schule paßt sich an: seinen Talenten, Neigungen, Stimmungen, Interessen. Wir wollen unseren Kindern den Schock ersparen, sich als Versager zu erleben. Daher weg von Notenziffern, die sich wie Raster übers Kinderleben legen; weg von den Punktleistungen, den Prüfungsängsten, den alptraumerzeugenden Schularbeiten. Wir wollen die Schule, in der alles läuft wie geölt, ohne daß man mit sanfter Gewalt, und sei es nur die Drohung einer Prüfungssituation, nachhelfen muß, den jungen Menschen zum Lernen zu bringen, auch wenn ihm gerade nicht danach zumute ist. Und die Kehrseite der Medaille? Die Welt, für die wir sie bilden, besteht aus Leistung und Streß.
Wer sich nicht anpaßt, geht zugrunde. Jeder muß sich das Äußerste abverlangen, ohne Rücksicht auf persönliche Stimmung. Wir erziehen mit Lust und Freude für eine Welt, in der Durchsetzen und Rücksichtslosigkeit dominieren. Solcherart falsch gedopt, streiken unsere jungen Intelligenzler. Sie spüren exakt, daß sie in der von uns programmierten Erziehung herzlich wenig mitkriegen und reagieren mit Leistungsverweigerung. Wir sind darüber höchst erstaunt, da wir ihnen doch eine von allen Schwierigkeiten und Bewährungssituationen keimfrei gemachte Kindheit zu Füßen legen. Sie aber werfen uns unsere Welt vor die Füße, die, die wir ihnen vortäuschen, und die, die sie dann wirklich erwartet. Sie sind konsequent — wir bloß stur oder schizophren. Sonst hätte uns allen schon längst auffallen müssen, daß wir im Bildungskonzept den Triumph des Individuums hochleben lassen und im praktischen Leben die Totalanpassung forcieren. Und mit Recht weigern sich die Jungen, diesen unseren Gedankenfehler auszutragen.
