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Digital In Arbeit

Die Zeitung ist an allem schuld

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Immer heißt es, im Kampf der Geschlechter sei besonders die Zeitung an allem schuld.

Sie jammert: Er liest schon beim Frühstück die Zeitung, statt mich lieb anzuschauen.

Er jammert: Sie arbeitet nichts, sitzt nur in Kaffeehäusern herum und liest Zeitungen.

Sie jammert: Er leistet nichts für den Haushalt, er hat seine Nase nur in der Zeitung.

Er jammert: Sie bringt die Zeitung immer durcheinander, sodaß man nichts mehr findet.

Sie jammert: Er liest sogar in der Badewanne die Zeitung und hält daher die ganze Familie auf.

Er jammert: Manchmal steckt sie sogar die frische Zeitung in die nassen Schuhe, und ich hab' einen Dreck.

So jammert einer über den anderen und schuld an allem ist die Zeitung.

Dabei ist so eine Zeitung eigentlich ein ganz harmloses Tierchen. Es rührt sich nicht, beißt nicht, liegt unschuldig in der Wohnung herum und wartet nur geduldig darauf, bis sich irgendjemand ihrer erbarmt und ihr ein bißchen Aufmerksamkeit schenkt.

Und trotzdem, bei jedem Ehekrach, in jeder Eheberatung und vor jedem Scheidungsrichter spielt die Zeitung den bösen Buben, der überall und immer dazwischenfunkt.

Allmählich bekomme ich den Eindruck, Zeitungsleser sind die schlechteren Menschen, besonders was die ehelich-zwischenmenschlichen Beziehungen anbelangt. Und der Abschluß eines Zeitungsabonnements ist bereits schon irgendwie der Anfang vom Ende einer Ehe.

Ich hab Eheberater schon empfehlen gehört, bestellen Sie doch die

Zeitung einfach ab.

Ja wenn das so einfach wäre. Zeitungen haben ein zähes Leben, schließlich ist man sie gewöhnt. Und vor allem, was kommt statt der Zeitung? Ganz konkret, was macht so ein zeitungsgewöhnter Ehemann beim Frühstückstisch ohne Zeitung? Stiert er lustlos in die halbleere Kaffeetasse und überlegt, ob der Kaffee heute nicht eigentlich zu kalt ist?

Oder kaut er nachdenklich an seiner Frühstückssemmel und kommt darauf, daß sie gar nicht mehr so frisch ist wie sie es sein könnte?

Oder schaut er unausgeschlafen und unrasiert seiner besseren Hälfte ins Gesicht und erkennt, na so knusprig wie die Sekretärin ist sie auch nicht mehr?

Angesichts aller dieser ehegefährdenden Tatsachen ist doch so eine harmlose Zeitung fast noch reiner Balsam, reiner Ehebalsam, odernicht.

Darum, bedenken Sie immer, was sie eintauschen für einen zeitungsle-senden Frühstücksehemann. Es kommt selten etwas Besseres nach.

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