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Diese Chasaren!

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„Das Buch kann ein Weinberg sein gegossen mit Regen oder ein Weinberg gegossen mit Wein. Dieses ist von jenen letzteren“, schreibt Milorad Pavic im Nachwort zu seinem Lexikonroman „Das chasarische Wörterbuch“. Und in der Tat: das Buch ist ein Meisterwerk der abenteuerlustigen, zuweilen rauschhaften Phantasie.

Seiner Form nach ist der Roman eine Parodie der hohen und holden Geschichtsschreibung. Als Ausgangspunkt dient die Begegnung eines serbischen, eines türkischen und eines jüdischen Gelehrten im Jahre 1689, das Forschen nach dem verschwundenen Volk der Chasaren, die Veröffentlichung des Ergebnisses in einem roten (christlichen), grünen (islamischen) und gelben (hebräischen) Buch. Fiktive Historie eröffnet Anekdotisches; erfundene und wirkliche Gestalten stehen Seite an Seite; die „Handlung“ reicht bis zum Jahr 1982.

Dem Autor, einem Professor der Universität Belgrad, ist ein erfrischendes, vergnügliches und zudem weises Buch gelungen: der Lexikonroman, der zudem in einem weiblichen und einem männlichen Exemplar vorliegt, gerät zur trefflichen Satire auf die Wissenschaft ebenso wie auf die herkömmliche Romanliteratur. Wie nebenbei wird das Relative, ja das Tragikomische jeder Historie — und dadurch auch jeder gegenwärtigen Politik — ins Bewußtsein gebracht. Damit aber trifft Pavic das vorherrschende Le-, bensgefühl unserer Zeit.

DAS CHASARISCHE WORTERBUCH. Von Milorad Pavic. Carl Hanser Verlag, München 1988. 366 Seiten, öS 310.50.

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