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Disparat

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Es ist recht schwer, über Jürgen Beckers neuen Lyrikband „Das englische Fenster" ein ausgewogenes Urteil zu finden, da der Dichter darin Abschnitte präsentiert, deren Disparität auffällig hervortritt. Einerseits verarbeitet er in einem ausgedehnten Gedankengedicht die vielfältigen Eindrücke eines universitären Englandaufenthalts in Warwick aus dem Jahre 1988, um dieser Sequenz lyrische Streif züge aus dem Alltag folgen zu lassen, andererseits arbeitet er im dritten Teil „Vorbereitungen im Herbst" seinen Leipzig-Besuch unmittelbar nach dem Fall der Mauer sehr persönlich auf.

Im ersten Teil ist Beckers „Imaginationschronik" unter der Last der poetischen Ansichten und Assoziationsketten, mit deren Hilfe eigene und fremde Geschichte bewältigt werden soll, etwas außer Form geraten. Die von Jürgen Becker angewandte Montagetechnik birgt diese Gefahr selbstverständlich in sich, und es ist nur wenigen wie etwa Ezra Pound oder W. H. Auden gelungen, sich erfolgreich zu entziehen. Trotzdem überzeugt Bek-ker gerade im Schlußteil seines Bandes. Hier sind sowohl Sprachduktus als auch die „stereoskopische" Beschwörung einer simultanen Erinnerung zureichend schlüssig in eine lyrische Einheit gebracht: „Nur glaub mir, die Geschichte / verspricht nichts ... vermeintlich verjährte Zitate, und / wir wunderten uns, wie sie plötzlich wieder berührten / die Chronik im Gohliser Schlößchen, wo Gesichter auftauchten / aus der langen Verlustgeschichte, die wir anfangen könnten, /jetzt und fortwährend, uns zu erzählen."

DAS ENGLISCHE FENSTER. Von Jürgen Becker. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 1990. 93 Seiten, öS 187,20.

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