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Ehrenburgs Lasik

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„Das bewegte Leben des Lasik Roitschwantz“ von Ilja Ehrenburg ist das Musterbeispiel eines Buches, das innerhalb kürzester Zeit zur Legende wurde und Jahrzehnte eine blieb. Es gab Zeiten, da wurden die wenigen auftauchenden Exemplare zu Phantasiepreisen gehandelt, wegen eines nicht zurückgegebenen „Lasik“ gingen Freundschaften in die Brüche, und wer keinen hatte, ließ sich den Inhalt erzählen (wobei nach dem System des „Stille-PostSpieles“ viele neue, mündlich überlieferte Lasik-Roitschwantz-Römane in Readers-Digest-Format entstanden).

Seit 1969 gibt es wieder eine Buch-und jetzt sogar eine Taschenbuchausgabe bei Suhrkamp. Der Grund, warum es so lange keinen „Lasik“ gab: Bald nach dem Erscheinen des Buches in Paris (1928) und Berlin (1929) kehrte Ehrenburg endgültig in die Sowjetunion zurück, was dazu führte, daß der Roman zurückgezogen wurde. Die Geschichte vom Lasik setzt in den Jahren des „Neuen ökonomischen Planes“ ein, als auch in der Sowjetunion plötzlich so manche Freiheit erlaubt war. Darüber, ob der in Paris lebende Ehrenburg ein Buch gegen die sowjetischen Zustände oder ein gerade noch von der offiziellen Linie toleriertes Buch schreiben woUte, muß sich jeder selber ein Urteil bilden.

Lasik Roitschwantz ist ein armer jüdischer Schneider aus Gomel, der zum Schriftsteller wird, in Ungnade fällt, ins Gefängnis gerät, aber auch nach dem Verlassen der Sowjetunion wenig Glück hat, weil ihn seine Versuche, irgendwie am Leben zu bleiben, immer wieder in die absurdesten Situationen bringen.

Das alles spiele sich, habe ich mir einst, als es den „Lasik“ nicht gab, von Leuten, die ihn gelesen haben wollten, erzählen lassen, zum Großteil im reinen Sprachbereich ab. Lasik pfropft seinem angestammten Idiom zunächst den Parteijargon auf, versucht, von Milieu zu Milieu verschlagen, die sprachliche Anpassung, macht sich durch den Fehlgebrauch angenommener Phrasen verdächtig, bis seine Sprache einem Trümmerfelde der Kauderwelsche gleicht. (Am Ende verhungert er ausgerechnet nach dem Erreichen des Gelobten Landes.)

Davon ist auch einiges da, aber nicht ganz so prägnant, wie ich es mir — auf Grund dessen, was mir die „stille Post“ über den Lasik zutrug — vorgestellt habe. Vielleicht liegt es auch an der Jollos'schen Obersetzung, die aus dem Jahre 1929 ist mir noch immer nicht untergekommen. (Jollos übersetzt Gomel konsequent als „Hornel“.)

Was bleibt also nun, angesicht der so prosaischen Begegnung mit dem leibhaftigen Buch? Kein oppositioneller Roman über die Sowjetunion — Ehrenburg hatte offensichtlich auch in seinen Pariser Jahren nicht gerade dies im Sinn. Sondern so etwas wie ein tragischer Schelmenroman, dessen Antiheld und Anti-clown, in einer Person, teils an den Umständen scheitert, die allenthalben von Gomel über Moskau und Frankfurt bis Tel Aviv für ihn die gleichen sind, an seiner Direktheit, an seiner trotz allen Kompromissen noch immer störenden Geradheit.

Das Buch, ist mit einem gewaltigen Sinn für schwarzen Humor und für Situationskomik geschrieben, immer effektvoll, stellenweise poetisch, dann wieder schnodderig. Und stellenweise bricht tatsächlich das vielzitierte, das legendäre, das aus jiddischen Brocken, bolschewistischen Phrasen, Jargon-Fragmenten aller ideologischen und sozialen Herkünf-te gemischte, durch Ironie und Denkschärfe explosive Sprach-Tohuwa-bohu durch. Dies sind die stärksten Momente des Buches.

Ich wüßte gerne, was die sowjetischen Literaturexperten, die sich, vor und nach Stalins Tod, gelegentlich mit dem „Lasik“ befaßten, darüber zu sagen gehabt haben.

DAS BEWEGTE LEBEN DES LASIK ROITSCHWANTZ. Roman von llja Ehrenburg. Suhrkamp-Taschenbuch 307, Suhrkamp-V erlag,

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