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Ein Ärgernis?

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Das vorliegende Buch bedeutete von Anfang an ein Ärgernis, und zwar in erster Linie für die Literaturkritik. Marcel Reich-Ranicki, Sigrid Löff-ler, Volker Hage & Co. nannten es in seltener Einhelligkeit einen Murks und beteuerten in Nebensätzen, die 100.000 DM, die der Autor vom Auftraggeber erhalten haben soll, seien für das vernichtende Urteil nicht maßgebend. Was dann?

Die Lebensgeschichte des Gustav „Johnny" Berger, die angeblich die Lebensgeschichte des Münchner Unterweltkönigs Walter Staudinger ist, stellt sich als die Geschichte eines schwer narzißtisch gestörten Menschen dar, das heißt, eines Menschen, der seine Befriedigung ausschließlich im Verwirklichen immer neuer Größenphantasien sucht - und niemals findet. Sie liest sich femer als die beispielhafte Geschichte eines Don Juan, das heißt, eines Mannes, der (auf der allerersten Seite des Buches) seiner Mutter davonläuft und in der Folge verurteilt ist, sich in einem frauenverachtenden Wälzen durch unzählige Betten die Bestätigung zu verschaffen, daß er sie, die Mutter, nie wirklich gebraucht hat.

Was irritiert und zugleich die Qualität dieses Romans ausmacht, ist der unweigerlich entstehende Eindruck, der Autor verschmelze in jeder Charaktereigenschaft, in jedem Klischee (es wird wahrhaftig keines ausgelassen!) mit seinem Protagonisten, oder, karikiert: Walter Staudinger selbst sei in Wahrheit der Verfasser und habe die 100.000 DM nicht als Biographenhonorar, sondern als Entgelt dafür bezahlt, Wolf Wondratscheks Namen verwenden zu dürfen. So oder so, die Tage beginnen nach wie vor häufig mit einer Schußwunde, und am Schluß kommt's, wie es kommen muß: der Held wird alt und solide.

„Wenn ich mein Geld ausgebe, will ich mich auch unterhalten." Dieser Satz aus „Don Giovanni" steht dem vierten Teil des Buches als Motto voran. Die Kugeln fliegen tief, man ärgert sich ab und zu fürchterlich, aber Unterhaltung findet statt.

EINER VON DER STRASSE. Von Wolf Wondratschek. C. Bertelsmann Verlag, München 1992. 520 Seiten, öS 343,20.

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