7058056-1991_25_12.jpg
Digital In Arbeit

Ein Boykott der Kulturschaffenden

Werbung
Werbung
Werbung

DerFichenskandal war letzter Anstoß für Mitglieder der Literatenvereinigung „Gruppe Ölten” einen „Kulturboykott” anzudrohen. In 'ihrem Anfang Februar 1989 veröffentlichten Aufruf erklärten die Unterzeichner „- dass wir nicht bereit sind, einen Schnüffelstaat zu feiern, auch nicht durch „konstruktive Kritik”, über deren Konstruktivität die Schnüffler an der Berner Taubenstraße befinden;

—dass diejenigen, die an einem der zahlreichen CH-700-Projekte beteiligt sind, ihre Mitarbeit überdenken und sich vorbehalten, aus den Projekten auszusteigen, falls bis Ende Jahr nicht alle Registrierten volle Einsicht in Fichen und Akten erhalten und die Polizei ihrer Schnüffelaufgaben entledigt ist”. Diese Erklärung wurde von über 600 Kulturschaffenden und über 20 Kulturorganisationen unterschrieben.

Die großen Jubelfeiern sind schon seit einigen Jahren umstritten. Die Kredite für die ursprünglichen Projekte der sogenannten „CH-91” wurden von den Innerschweizer Kantonen Luzern, Uri, Schwyz, Unterwaiden, Oberwaiden und Zug, also der „Urschweiz”, die gefeiert werden soll, 1987 in Volksabstimmungen abgelehnt. So mußte der Bundesrat einspringen. Er machte 25 Millionen Franken für den kulturellen Teil der Feiern locker und ernannte den Tessi-ner Marco Solari zum „Bundesdelegierten für die 700-Jahr-Feier”. Zuletzt absentierte sich der Kanton Graubünden im September 1990.

Da die Boykottdrohung keine Wirkung zeigte, wurde Ende April eine endgültige Boykotterklärung veröffentlicht. Die Zahl jener, die ernst machten, sank nun auf rund 500. Prominente Unterstützer, wie Beispielsweise der Schriftsteller Max Frisch, der Kaberettist Franz Hohler, Pfarrer und Schriftsteller Kurt Marti und der Publizist Hans A. Pestalozzi blieben hart. Vor allem in der französischen und italienischen Schweiz fielen viele von der Boykottabsicht ab. Anscheinend nehmen sie die Regierung in Bern und ihre bürokratischen Auswüchse nichts so ernst wie die deutschsprachigen Schweizer. Da es genug Kulturschaffende gibt, die schon aus Geldmangel auf staatliche Untersüt-zung ihrer Arbeit angewiesen sind, braucht die Jubelfeier nicht abgebrochen werden, zumal für bombastische Verschönerungsaktionen nicht unbedingt die „kritische Avantgarde” genötigt wird.

Der „Kulturboykott” hat in den Schweizer Medien eine heftige Diskussion um Sinn oder Unsinn der Feiern, über die Situation der Kulturschaffenden in der Schweiz und das Verhältnis von Kultur und Politik ausgelöst. Die Kulturschaffenenden wollen nicht nur zum Jubiläum 25 Millionen Franken, Frauen finden, da sie erst seit 10 Jahren vom Gesetz her mit „den Schweizern” (den Männern) gleichberechtigt sind, nichts zu feiern. So wurde die 700-Jahr-Feier vor von Marco Solari befürchteter Nichtbeachtung bewahrt und die Schweizer Kulturschaffenden haben sich zur größten gemeinsamen Aktion zusammengerauft.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung