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Ein flüchtiges Geschenk

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Die Sammlung portugiesi-cher Lyrik macht auf ein merkwürdiges Manko der heutigen deutschsprachigen Lyrikszene aufrnerksam. In der lyrisch-melancholischen Tradition Portugals wird die Poesie als „Wort in der Zeit" (Eugenio de Andrade) wahrgenommen, das verlorene Identität neu erfindet und begründet. Antonio Ramos Rosa, geboren 1924 in Faro, lebt in Lissabon und hat 24 Lyrikbände verfaßt, neben seiner Tätigkeit als Büroangestellter, Zeitschriftenherausgeber und Literaturkritiker.

Die integralen anthropologischen Zusammenhänge der zeitgenössischen Poesie charakterisiert Ramos Rosa folgendermaßen: „Obwohl die augenblickliche Gesellschaft nur über entartete Mythen verfügt, und das Gefühl für den Sinn des Heiligen verkümmern ließ, ist die moderne Kunst eine lebendige Auflehnung, die durch den Körper auf die lebendige Ganzheit des Unsichtbaren abzielt."

Kein südlicher Pathos, sondern bescheidene Selbstbesinnung führt in Ramos Rosas Gedichten zu frappanten Erkenntnissen, die

auch auf hiesige Schaffensbedingungen übertragbar ist: „Was sind die Ausreden der Gegenwart, / wenn die Gegenwart zufällig nicht mehr ist als der Entwurf / unserer Schatten und unserer Leere?" Ohne Zweideutigkeiten kann die Gegenwart, „diese verlorene Rose", auch ein flüchtiges Geschenk sein, „als bräche plötzlich ein Garten in unser Gemüt ein, und als fühlten unsere Füße die unterirdische Flut."

Ein innovativer Widerhall der klassischen und modernen Traditionen verankert erst die Zeitgenossenschaft authentisch in einen poetischen Strom. Das zeigen die hier versammelten Arbeiten. Die Wiederentdeckung von Fernando Pessoa hat nun einen Türspalt geöffnet, um in die Reichtümer der lusitanischen Lyrik ein wenig mehr Einbück zu bekommen. Dem Übersetzer Curt Meyer-Cla-son ist dieser umfangreiche Sammelband zu verdanken, dem hoffentlich weitere folgen werden.

BPORTUGIESISCHE LYRIK DES 20. JAHRHUNDERTS. Herausgegeben und übersetzt von Curt Meyer-Clason. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 199). 3)8 Seiten, öS 175,.

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