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Ein Kaleidoskop von Lügen

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Auf die andere Seite des Globus führt Michael Ondaatjes Erinnerungsbuch an seine Kindheit und Jugend auf Ceylon, dem „Ring am Ohr Indiens". „Es liegt in der Familie" beschreibt nicht nur die Rückkehr des Autors zu den Quellen, sondern inszeniert zugleich einen Tanz der Familiengespenster. Da drehen sich exzentrische Damen und skurrile Herren, skandalumwitterte Kolonisten und liebestrunkene Phantasten im Reigen des hol-ländisch-tamilisch-singhalesischen Familienclans. Da sind der auf Saufen und Zügestehlen spezialisierte Vater, die blumenklauende und ihre (künstliche) Brust verlierende Tante Lalla, die tanzende und hotelmanagende Mutter und eine Fülle praller Figuren, daß sich der Leser nicht wundert, wenn der Sprößling aus diesem poetisch-chaotischen Clan zum Schriftsteller geworden ist.

Wenn man von der Zunge des Thalaoya-Krokodils kostet und nicht daran stirbt, dann wird man zu einem brillanten Redner mit wunderschönen Worten, heißt es auf Sri Lanka. Und höchstes Lob bedeutet es, wenn jemand der beste Lügner des Landes ist. Ondaatje redet zweifellos mit dem Krokodilszungenerbe und lügt am liebsten wie gedruckt.

So ist sein Buch keine wehleidigtrauernde Erinnerungsarbeit, sondern ein Kaleidoskop, Zauberprosa und Fabulierkunst, die wieder einmal zeigt, wo das Leben am schönsten ist: Nicht auf Celyon, sondern zwischen zwei Buchdeckeln, wenn der Autor Ondaatje heißt.

ES LIEGT IN DER FAMILIE. Von Michael Ondaatje. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Carl Hanser Verlag, München 1992. 212 Seiten, öS 232,40.

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