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Ein kaukasisches Epos

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In Abchasien herrscht heute Bürgerkrieg, und das kleine Bergdorf Tsche-gem, das der russische Staatspreisträger Fasil Iskander zum Mittelpunkt seiner Romanepisoden macht, gibt es wirklich. „Tschegemer Carmen" ist der vierte Teil eines Zyklus, in dem Iskander den Zerfall der bäuerlichen Gemeinschaft in der alten Sowjetunion und danach schildert. Die dörfliche Welt scheint hier fast mythisch entrückt, hingegen schlägt die umgreifende Mobilität beziehungsweise auch Kriminalität der nahen Kleinstadt die archaischen Wurzeln des paternali-stische,n Bauernstandes abrupt ab.

All dies beschreibt Iskander nicht selten humorvoll, manchmal jedoch recht melancholisch. Seine höchst lebendige Dialogregie und die psychologische Einfühlung sorgen für erhebliche Dramatik. Freilich, „im Rang Dostojewskis oder Faulkners" steht der Dichter wohl nicht, wie die Kritik nunmehr zu verkünden weiß,

aber das ungemeine Können Iskan-ders wird schon auf den ersten Seiten des Romans evident. Worum es dem Autor geht, sagt er deutlich im Vorwort: „Ich war immer bestrebt, eine Literatur der Behaustheit zu schaffen." Die heimliche Klage um die verlorene Heimat durchzieht das ganze Buch, das von der Anlage und Absicht her wohl eher ein bißchen an das Werk Knut Hamsuns erinnert.

Schade, daß die beiden Übersetzerinnen sich hier mitunter nicht gerade ausgezeichnet haben („Mein Pferd trat mit dem Hinterbein auf das Brett"). Immerhin, ein Leseerlebnis besonderer Art ist angesagt. Fasil Iskander rührt doch mit seiner Literatur an eines der Grundprobleme unserer Zeit: Urbane Händlermentalität kontra Traditionen autochthoner Kultur.

TSCHEGEMER CARMEN. Von Fasil Iskander. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 1993. 356 Seiten, öS 311,-.

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