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Ein larmoyanter Held

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Nach Martin Walsers erstem Band seiner Chronik der am deutschen Bodensee-Ufer lebenden großen Zürn-Sippe, liegt nun die Geschichte des Dr. Gottlieb Zürn vor.

In seinem Beruf als Makler ebenso erfolglos, wie hilflos als Ehemann und Vater von vier Töchtern in schwierigem Alter, ist er der geborene Anti-Held. Ein Zauderer ohne Selbstvertrauen, der über endlosen Grübeleien das Handeln im rechten Augenblick versäumt. Ein Mann von ständigen Skrupeln und Alpträumen geplagt; nie eins mit sich selbst und infolgedessen für eine schier unerträgliche Anpassung an den jeweiligen Partner und die Augenblicksgeschehnisse anfällig.

Ein typischer Tick Gottliebs seine sonderbare Alterszuweisung: er, der bald fünfzig Jahre wird, kommt sich vor wie ein Zwölf- bis Vierzehnjähriger, was bei seinen infantilen Anwandlungen durchaus treffend ist. Er wendet sein persönliches Verhältnis zum Alter aber auch auf andere Leute an, die ihm samt und sonders im pubertären Stadium steckengeblieben zu sein scheinen.

Walser benutzt Gottliebs lar-moyante inneren Monologe, die die konkrete Handlung überwuchern, um allerlei Unzulänglichkeiten unserer Welt zu enthüllen.

Am schlechtesten kommen dabei moderne medizinische Praktiken weg, neben den widerwärtigen Gepflogenheiten im Immobilienhandel, die im Gerangel um den Verkaufsauftrag des „Schwanenhau-ses" süffisant geschildert werden und symptomatisch für den heutigen unbarmherzigen Wettbewerbskampf stehen.

Ein Stück Gesellschaftskritik, die Walser mit unerschöpflichen Einfällen absurder Geschehnisse zur bemerkenswerten Lektüre macht. In den alltäglichen Banalitäten wird immer ihre hintersinnige Bedeutung transparent.

DAS SCHWANENHAUS. Von Martin Walser. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt 1980. 233 Seiten. öS 192.50

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