7076282-1993_19_18.jpg
Digital In Arbeit

Ein literarischer Komet?

Werbung
Werbung
Werbung

Von 21 Verlagen hat er Absagen bekommen, bis der Leipziger Reclam Verlag zugegriffen und das Schnäppchen der Saison gemacht hat. Mittlerweile hat sich Robert Schneiders Erstling „Schlafes Bruder" vom Geheimtip zum Bestseller gemausert, weniger durch Rezensentengetrommel als durch Mundpropaganda.

Verdient ist Schneiders Erfolg ohne Zweifel. Sein Roman erzählt eine im Grunde einfache Geschichte: die des Musikers Johannes Elias Alder, der sich mit 22 Jahren qua Schlafverzicht aus der Welt verabschiedet, in der er nie heimisch werden konnte. Angesiedelt in einer dumpfen, sprachlosen Gegend (als Vorarlberg zu erkennen), in der die genialischen Anlagen Al-ders zwangsläufig brach liegen müssen und die sein Leben zum Scheitern verurteilt. Schneider erzählt diesen Lebenslauf „wie ein großes, trauriges Märchen" und macht daraus einen paradigmatischen Roman über „einen zeitlebens ungeborenen" Künstler, dessen tragisches Schicksal zum Mißtrauensvotum gegen Gott wird. Der Bruder des Schlafes ist für Alder der einzige Weg, Ruhe zu finden.

Schneider greift zu einer raffiniert antiquierten Sprache mit geradezu altfränkisch gedrechselten Sätzen. So breitet er ein Gespinst aus, in das der Leser gelockt werden soll. Tiefe Ironien stecken in den Leseranreden und den Reflexionen des Erzählvorganges. Ein allgewaltiges Gelächter meint man aus den Zeilen herauszuhören, auch da wo - wie im Crescendo des „Hörwunders" - die Schmerzgrenzen des Erträglichen überschritten werden. Dennoch geht der Leser Schneider bereitwillig ins Netz, weil die Geschichte mit einer Menge durchschaubarer Taschenspielertricks erzählt wird. Dieses spielerische Moment hat zur Folge, daß dem Roman etwas sehr Künstliches anhaftet.

Schneider führt seine Geschichte immer wieder als durchkomponierte Fiktion vor: als wär's ein Stück nach strenger Partitur. Diese Meta-Ebene macht den Text konsumierbar - und das hat mit seinem Erfolg zu tun. Bleibt zu fürchten, daß von dem Text auf Dauer keine Verstörung ausgeht, nach dem Motto: schnell gelesen, hochgejubelt, abgehakt. Zu wünschen ist es dem Autor, der sich gerade aus einer sprachlosen Gegend hinausgeschrieben hat in die große Welt der Literatur freilich nicht. Warten wir' s ab, ob Schneider kühlen Kopf bewahrt.

SCHLAFES BRUDER. Von Robert Schneider. Reclam Verlag, Leipzig 1992. 202 Seiten, öS 250,-.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung