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Ein Schicksal aus Königsberg

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Die Vorfahren einer seiner Großväter entstammten einer weit zurückzuverfolgenden Rabbinerdynastie, eine der Großmütter hatte einen be- rühmten Neffen: Olaf Palme. Zur Verwandtschaft des Vaters gehörten Clara Wieck-Schu- mann, gehörte auch die gefeier- te Filmschauspielerin Dorothea Wieck, die Hitlers Tischdame war.

Seine Verwandten endeten in den Vernichtungslagern der Nazi-Ära oder dienten als Offi- ziere in der Deutschen Wehr- macht, er selbst wurde, Sohn einer blonden, blauäugigen, jüdischen Mutter, im jüdischen Glauben erzogen und erlebte als Kind, als sogenannter Gel- tungsjude mit dem Judenstern gezeichnet, Haß, Ablehnung, Ausschluß und Verachtung, wurde als Dreizehnjähriger von Passanten bespuckt, als Sech- zehnjähriger selbst aus dem Luftschutzkeller vertrieben,

erlebte, im winzigen Kohlen- keller ungeschützt hockend, das Inferno von Bombenangriffen, wie sie sich später in Dresden in diesem Ausmaß wiederholen sollten. Michael Wieck, gebo- ren 1928 in Königsberg, einer bekannten Musikerfamilie ent-

stammend, istheute 1. Konzert- meister in Stuttgart, Mitglied des Radio-Sinfonieorchesters.

Das vorliegende Buch, in dem er sein Leben über das Ende des Krieges hinaus, bis zur Aus- wanderung nach Neuseeland und schließlicher Rückkehr nach Deutschland beschreibt, ist weit mehr als ein Lebensbe- richt, es ist eine unsentimenta- le, dadurch umso erschüttern- dere Dokumentation der furcht- barsten Tragödie unseres Jahr- hunderts. Von den Nazis als

Untermensch, von den Russen dann als Deutscher mißhandelt, überlebt er wie durch eine Aneinanderreihung von Wun- dern tiefste Erniedrigung, KZ unter unmenschlichen Bedin- gungen, schwerste Krankheit, unvorstellbare Not. Er schreibt: „Nach dem von Fritz Gause verfaßten .Königsberg in Preu- ßen' dürfte ich eigentlich nicht mehr am Leben sein.“

Liest man, zutiefst erschüt- tert, nach der Lektüre dieses unvergleichbaren Berichtes, das Vorwort von Siegfried Lenz noch einmal, wirkt es blaß, obwohl sicherlich auch unter dem Eindruck der Ergriffen- heit geschrieben. Man hat über- haupt das Gefühl, als würde in Hinkunft alles, was man noch lesen wird, blaß erscheinen.

ZEUGNIS VOM UNTERGANG KÖ- NIGSBERGS. Ein Geltungsjude berichtet. Roman. Von Michael Wieck. Verlag Lam- bert Schneider, Tübingen 1989. 382 Seiten, öS 193,40

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