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Eine Krankheit namens Journalismus

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Journalismus ist kein Beruf, sondern eine unheilbare Krankheit. Andere Leute erlernen, je nach Neigung, nach Möglichkeit oder nach dem Maß ihrer Geldgier, irgend etwas Nützliches; sie erzeugen zum Beispiel Gegenstände, die möglichst lange halten, aber auch möglichst rasch zugrunde gehen1 sollen, oder sie kaufen irgendwelche Lebensmittel, tun mit ihnen nichts, erklären sie für „garantiert naturbelassen" und verlangen für die Unterlassung einen entsprechenden Preis. Der richtige, der unverfälschte, der geborene Journalist erlernt nichts, erzeugt nichts und kauft nichts. Er verkauft höchstens. Er verkauft und verschenkt seine Träume, und zwar gleich zwei- oder dreimal.

Er schenkt sie den Personen oder Gegenständen, über die er berichtet, denn er gibt ihnen nicht nur eine exakte Form, sondern er hüllt sie auch in den transparenten Stoff seiner Vorahnungen und Vermutungen; er ver-mutet ihr Wesen, im ursprünglichen Sinn des Wortes; er richtet auf sie seinen Sinn, er begehrt sie. Er begehrt sie auch in Fällen, in denen er sie in der Sphäre seines bewußten Denkens ablehnt; er muß sie - als Themen, als Modelle - unbedingt haben, besitzen, durchleuchten, erkennen, einverleiben. Daher seine erstaunliche Flexibilität, die die Moralisten und Ideologen empört.

Er kann scheinbar den verschiedensten politischen Richtungen dienen, da er in Wirklichkeit immer nur der Wirklichkeit dient, oder, besser gesagt, jenem nur halbbewußten, traumähnlichen inneren Bild der Realität, das sich in seiner Phantasie nur durch äußere Reizungen ausrundet. Er braucht den Anlaß. Er ist ein Gelegenheitspoet der Fakten. Seine Objektivität kann nur zutiefst subjektiv sein. Um diese ihm allein gemäße Lebensform, diesen Zustand einer atemberaubenden und doch behaglichen Krankheit zu erreichen, muß er sich zum Zwischenbereich des Journalismus bekennen und also verzichten sowohl auf handfeste, solide, beständige Ergebnisse seines Mühens als auch auf die Hoffnung, jemals aus der Tiefe, aus der inneren Freiheit des Unterbewußten frei zu schöpfen, das Erahnte frei, sprachtrunken, spielerisch zu formulieren - im Bewußtsein jener vom Tagesgeschehen unabhängigen Zwecklosigkeit, die nur für den Zeitgenossen als solche erscheint und in Wirklichkeit eine kosmische Zweckmäßigkeit besitzt.

Also muß der echte Journalist ziemlich bald erkennen, daß er Häuser niemals bauen, Industrien niemals gründen, Weingärten niemals anlegen wird, daß er aber an Häuser, an die Industrien und an die Weingärten doch gebunden bleibt, indem er von ihnen zu berichten hat und berichten will, jedoch nicht ganz und gar frei, nicht willkürlich, ziellos, uferlos, nicht von Visionen beseelt und gepeinigt, nicht als Schöpfer einer inneren Welt. Denn ein guter Bericht eines guten Journalisten hat, sagen wir, mit einem Gedicht von Apollinaire nur eines gemeinsam: den mechanischen Vorgang des Schreibens. Doch gerade dieser Vorgang verbindet kaum. In einer Textilfabrik wird rohes Leinen mit Farben bedeckt, und - was die Mechanik des Vorganges betrifft -geschieht dasselbe im Atelier Picassos. Und doch ist der Unterschied fundamental. Der Journalist nun steht gleichsam in der Mitte eines Spannungsfeldes, das sich durch gerade diese Unvereinbarkeit ergibt. Darin liegt die Erklärung seiner Gier, das eine Mal nach dem Handfesten, das andere Mal nach dem Subtilen zu greifen: die Erklärung seines Glanzes und seines Elends, seiner

Minderwertigkeitskomplexe und seiner Arroganz; die Erklärung auch seiner Größe. Die Spannung, die zwischen den beiden Polen entsteht, ist seine lebenslange Qual, doch auch seine unvergleichliche Chance.

Darin sind Journalisten Schauspielern ähnlich: sie müssen jeden Tag aus fremden Stoffen etwas Eigenes und Eigenständiges bauen, nach den Gegebenheiten und innerhalb der geistigen und technischen Grenzen ihrer Zeitung, für eine Leserschaft, die augenblicklich fasziniert werden kann - oder nie. Die erforderliche Schlag- und Kunstfertigkeit hat mit den erlauchten Erfordernissen der Moral wohl im Antrieb, doch nicht im Ergebnis etwas zu tun. Für den Moralisten ist der Harlekin ein Halunke. Für den Halunken ist der Moralist ein Harlekin. Für den Journalisten (und vielleicht für den Schauspieler) sind solche Kategorien unnannehmbar.

Der Tag: ihm hat der Journalist die Ewigkeit verschenkt, und ob er dabei gewissenhaft oder leichtfertig vorgegangen ist, steht nicht zur Debatte. Denn man kann nur leichtfertig sein angesichts dieses Zaubers: jemand denkt sich etwas, schreibt es auf, und zwei Stunden später wird es von Zeitungsverkäufern durch die Nacht getragen, und acht Stunden später wird es von todernsten Politikern, gefinkelten Geschäftsleuten, schwärmerischen Hausfrauen, erlauchten Pensionisten und sogar von ganz normalen Menschen gelesen. Noch ist es eine Kapriole der Phantasie gewesen, und schon ist es da, für Zehn-, für Hunderttausende von Leuten und, in der Bibliothek, für eine relative Ewigkeit.

Rundfunk und Fernsehen mögen noch viel schneller noch viel mehr Menschen erreichen, allein die Konsistenz ist nicht rekapitulierbar. Doch kann ein Journalist noch nach dreißig Jahren sehen, ob er geistig schwächlich oder ob er in Form gewesen ist in jener Stunde, ob er die Wirklichkeit zugunsten seiner Stimmungen oder diese zugunsten der Wirklichkeit verraten hat. „Die Ritter des Tages" hat jemand die Journalisten genannt, doch richtiger ist die Behauptung, der Journalist erringe sich „eine Unsterblichkeit, die einen Tag währt".

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