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Einsamkeit für Devisen

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Da die vergewaltigte Natur stärker war als die utopistische Planwirtschaft, erklärte die ungarische Regierung die Hortobägy-Puszta, 52.000 Hektar Weideland, zum Nationalpark Nr. 1 des Landes. Die alte, romantische Lebensform soll erhalten bleiben. Damit wurden die Hirten und die nationalisierten mittellosen Kleinbauern zur touristischen Sehenswürdigkeit umfunktioniert.

Nach der Kollekti visierung der Landwirtschaft hatte man auf der riesigen Hortobägy-Puszta mit Baumwolle, Reis und einer russischen Gummipflanze experimentiert. Man wollte eben auch die Puszta „sozialisieren“ und produktiv machen. Im Jahre 1951 wurde das „Hortobägy-Staatsgut“ ins Leben gerufen, als Startkapital die enorme Summe von 500 Millionen Forint zur Verfügung gestellt und diese alsbald restlos verpulvert. Zehn Jahre lang leisteten 160 Agroingenieure mehr als 2000 ständige und einige hundert Saisonarbeiter mit 200 Maschinen und 16 Lastwagen ihre Sisyphusarbeit. Dann kapitulierte man und sah ein, daß die Puszta motorisierte Gewalt ablehnt. 70.000 Katastraljoch Pusztaboden waren stärker als die moderne Agrarwirtschaft. Jährlich mußten 30 Millionen Forint Defizit

verbucht werden. Manchmal griffen die Verantwortlichen zu panikartigen Maßnahmen und schickten etwa 700 schöne Pferde in die Schlachthöfe.

Auch die Kanalisierung der Puszta mißlang. Die 25 km langen Bewässerungskanäle kosteten sieben Millionen Forint und diese Millionen gingen ebenfalls endgültig verloren. Nur Schilf, Riedgras und Binsen gedeihen längs der teuren Kanäle.

Endlich begriffen die Verantwortlichen, daß die urwüchsige Originalität der Puszta mehr wert sein könnte als wenn dort Reis und ortsfremde Baumwolle gediehen. Der neue Hortobägy-Slogan lautet: „Genießen wir unseren Nationalpark! Plündern wir ihn nicht aus!“

Fauna und Flora haben sich erfolgreich verteidigt. Die Behörden werden aber auch Objekte der Voiks-baukunst und der Geschichte restaurieren. Auf den Hügeln der Kuma-nier dürfen keine neuen Bauten errichtet werden. Auch Industriebetriebe sind jetzt aus der Puszta verbannt. Die milieufremden Gebäude werden abgetragen, .23 alte Pusztaschenken (ungarisch: Csärda) wiederaufgebaut und mit Möbeln der „Betyären“ eingerichtet. Alte Schwengelbrunnen, die Schilfhütten der Hirten, Ställe, Werkstätten werden in ihrer ursprünglichen Form

wieder hergestellt. Aus verlassenen Reisfeldern, ausgetrockneten Fischteichen und Kanälen werden wieder Steppen und Weideflächen, damit die heimischen Tierarten, graue Rinder, Büffel, Hirtenhunde und Rackaschafe wieder angesiedelt werden können. Die Jagd auf Wasservögel ist untersagt. Kurzum: Europas größtes 1 Museum für seltene lebende Tiere soll hier entstehen! Die Einnahmen I aus dem Fremdenverkehr sollen für die Weiterentwickung des Nationalparks reserviert bleiben.

Manche Fachleute haben kritisiert, 1 daß aus der Hortobägy-Puszta nun | gar ein „touristisches Schutzgebiet“ gemacht wurde. In Radio Budapest antwortete darauf Sändor Illyes, nicht die Pusztaromantik solle konserviert, sondern landschaftliche Sehenswürdigkeiten und internationale Werte sollten hier gerettet werden.

Das Leben der Pferde- und der Schafshirten war nie eine Operette, sondern immer hart, voll Einsamkeit, aber auch voll Poesie. Wer weiß schon davon, daß die Hirten eine große, eigene Literatur haben? Diese Überlieferungen für alle Zukunft zu retten, wird die Aufgabe des neuen Pusztaparadies sein.

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