Mit dem neuen Band in der Reihe „Die phantastischen Romane“ hat der Zsolnay-Verlag einen guten Griff getan. Es ist die Geschichte einer jung- verheirateten Frau, die an dem Tag, als sie mit ihrem Mann eine Urlaubsreise antreten soll, plötzlich in ihre eigene, freudlose Vergangenheit zurückversetzt wird: in die nüchterne Industrie- vorstadtwohnung, die sie mit ihrer schwierigen alten Tante teilt, in den ungeliebten Beruf mit gleichgültigen Bürokollegen. Sie weiß genau, was sie in der Zeitspanne zwischen damals und der verlorengegangenen Gegenwart erlebt hat. Diese Gegenwart wird nun zur Zukunft, der sie nachjagt, um möglichst schnell wieder ihrem Partner zu begegnen, ihr Glück zu erreichen - aber das gelingt nicht. Das Wissen um die Zukunft erweist sich nicht als Hilfe, sondern als Ballast, sie kann ihr Leben nicht mehr einholen; sie kann es auch nicht willenlos an sich herankommen lassen, sondern „verändert“ es durch aktive Entscheidungen.
Das Buch hat kein happy end. Es ist ein Traum der Phantasie, der bewu
eine irreale Dimension vorstößt. Die Geschichte ist spannend erzählt und psychologisch gut aufgebaut, wirklich „phantastisch“, und hat einen ernsthaften Hintergrund.
Hannelore Valencak ist von Beruf Physikerin. Wie sie selbst sagt, wird sie stets angezogen von den Grenzgebieten zwischen Physik und Metaphysik. Das Vorauswissen der Zukunft, die Unvereinbarkeit von Vorherbestimmung und freier Willensentscheidung, sind auch hier ihre Themen. Es tönen aber auch Fragen des Glaubens an ein Leben nach dem Tode an. Hannelore Valencak hält sich bewußt frei von den Modetendenzen der zeitgenössischen Literatur, und gerade das macht sie und ihre Bücher so sympathisch. Sie hat anstelle von Schlagworten echte Aussagen und ehrliche Fragestellungen zu bieten - und sie kann vo rzüglich schreiben.
DAS FENSTER ZUM SOMMER. Roman von Hannelore Valencak.Inder Reihe „Die phantastischen Romane“. Paul Zsolnay Verlag, Wien 1977, 270 Seiten, öS 150,-
