7072018-1993_04_14.jpg
Digital In Arbeit

Es krabbelt

Werbung
Werbung
Werbung

Erstens besitzt dieses Buch einen rotweiß-roten Einband. Zweitens trägt es den Titel „In Österreich weltbekannt”. Und drittens hat sich Fenster Helmut (ein Maler) den Mittelpunkt Österreichs schlechthin, nämlich die Aida-Filiale am Wiener Stock-im-Eisen-Platz - Blick auf den Graben, in die Kärntner Straße, und, wenn er den Kopf nach rechts neigt, auf den Stephansdom - zum Atelier erkoren. Es kann sich also nur um einen Heimatroman handeln.

Damit fangen freilich die Schwierigkeiten auch schon an, denn dieser Heimatroman ist ebensoviel oder ebensowenig ein Heimatroman wie Fenster Helmut ein Maler ist. Könnten wir uns darauf verständigen, daß dieser Heimatroman einfach als Heimatroman aufzufassen sei, so bliebe uns einiges an Diskussion erspart -geradeso wie Fenster Helmut von seinen Mitmenschen unbezweifelt als Maler aufgefaßt wird, obwohl er höchstwahrscheinlich noch nie ein richtiges Bild gemalt hat. Er bemüht sich zwar redlich um eine präsentable Künstlerlegitimation, doch gelingen ihm stets lediglich seine Blick-Bühnenbilder, vor welchen sich flüchtig und dennoch eindringlich die roj-weiß-rote Tragödie ereignet.

Die wesentliche Triebkraft für Fenster Helmuts Kreativität stellt das Krabbeln dar, ein eigenartiger psychophysiologischer Schwebezustand, und, theoretisch betrachtet, ein Kristallisationskeim für ein Gegenmodell zu Freuds Libidokonzept. Im Zustand des Krabbeins hat Fenster Helmut die rechte Distanz zur Welt, das heißt, diese Position gewinnt etwas Philosophisches und befähigt ihn zu Sätzen wie: „Wesentlich an der Leiche ist das Totsein”.

Die dem Roman folgende Nachrede macht in ihrer differenzierten Subtilität eigentlich jede weitere Besprechung überflüssig und nötigt den Rezensenten, nunmehr beschämt den Mund zu halten.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung