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Das Gleichnis vom schwarzen Schaf

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Das Gleichnis vom schwarzen Schaf ist unersetzlich, ist es doch zum unentbehrlichen Argument in der österreichischen Innenpolitik geworden. Jede Gruppe in unserem Land, die angegriffen wird, der man irgend etwas vorwirft, verteidigt sich erwartungsgemäß in diesem Gleichnis. Ein (= 1) „schwarzes Schaf” zuzugeben, ist ein fesches, ein entlastendes Geständnis.

Da erfährt die Öffentlichkeit etwas davon, daß Pflegeheiminsassinnen menschenunwürdig behandelt werden. Und flugs meldet sich die oberste Leitung dieses Bereiches in einer „aktuellen” Sendung des ORF und stellt fest: No dreimal darf man raten, was! Es lebe das „schwarze Schaf”!

Da haben die Sicherheitsbehörden nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch den gefährdeten Personen einen Rrief mit neuerlichen Attentatsdrohungen vorenthalten. Hier gab es bei den Stellungnahmen der Offiziellen eine erstaunliche Deeskalation. Aus anfänglich vorhandenen „schwarzen Schafen” wurden sehr rasch nur „gesprenkelte” (= mit „braunen Spritzern”).

Die schlechthin geniale Entschuldigung ist aber dem zuständigen Minister eingefallen: „Bei uns gibt es überhaupt keine Schafe!”

Das Gleichnis vom schwarzen Schaf ist das typische Entschuldi-gungs- und Verharmlosungsgleich-nis. Dazu ist es unbiblisch, ja antibiblisch. Als Musterbeispiel für die Ideologie der Schwarzweißmalerei unterstellt es, daß den vielen Unschuldigen die wenigen Schuldigen gegenüberstehen. Und Schuldige und Unschuldige haben natürlich absolut nichts miteinander gemeinsam.

Ja aber, meldet sich irgendwann eine religiöse Reminiszenz, hat nicht auch Jesus vom „verlorenen Schaf” gesprochen?

Doch ein genauerer Rlick zeigt den fundamentalen Unterschied:

Wer vom „schwarzen Schaf” spricht, meint „Weg mit ihm”. Wenn Jesus vom „verlorenen Schaf” spricht, meint er „suchen gehen”, nicht abschreiben. Das „schwarze Schaf” ist die Ausrede für die weißen Schafe. Das „verlorene Schaf” ist eine Provokation, eine Aufgabe für die anderen.

Wer vom „schwarzen Schaf” spricht, lenkt die Aggressionen auf andere. Wer vom „verlorenen Schaf” spricht, lenkt die Aggressionen auf sich selbst.

Und wenn uns in Zukunft wieder jemand etwas vom „schwarzen Schaf” erzählen will, den schauen wir uns besonders gut an.

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