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Der Glaube an den Tamagotchi-Gott

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Längst ist die unwirkliche Welt Wirklichkeit geworden. Langst ist alles möglich - nicht nur . beim Zahlenlotto. Und diese schöne, falsche Welt ist äußerst attraktiv für ihre Konsumenten. Und sie ist natürlich viel perfekter als die böse, schia-che, alte Welt. Und sollte es doch das Böse einmal schaffen, in diese geschützte Welt einzudringen, dann war es ein korrigierbarer Programmierungsfehler oder: das Böse wird einfach abgeschaltet und die reine Schöpfung kann von neuem beginnen.

Negative Heiligenfiguren dieser Scheinwelt sind im „Global Village” die Tamagotchis. Psychologen warnen bereits pflichtgemäß; „Die Kinder entwickeln eine Allmachtsphantasie über ihr Tier.

Das Tamagotchi gaukelt ihnen vor, was es in der Realität nicht gibt. Außerdem hat das seelenlose Ding überhaupt keine Persönlichkeit.” (Max Friedrich)

Schöne, falsche, heuchlerische Welt! Als ob man in ihr eine Persönlichkeit brauchen würde. Der schöne, neue Mensch braucht vor allem Information - selbstverständlich objektiv und wertfrei. Altmodische Leute waren noch gebildet, neumodische Leute haben einen Datenspeicher. Die Pilatusfrage ist endlich beantwortet. An ihren Utopien sollt ihr sie erkennen. Angesichts des allgemeinen Abschieds von der Wirklichkeit erwecken die japanischen Sündenböckchen fast so etwas wie ein atavistisches Mitleid. Oder sollte Gott auch, die Erschaffung der virtuellen AYelt vorprogrammiert haben?

Laut Plan wird der Mensch der Zukunft ein durchelektronisierter asozialer Eremit sein. Er wird seine Höhle nie mehr verlassen. Alle seine Bedürfnisse wird er elektronisch stillen: Vom Einkaufen über Unterhaltung und Urlaub bis zum Sexsurrogat im Internet. Und dann wird er sterben wie ein Tamagotchi - und niemand wird die „Reset-Taste” drücken.

Und darum verachte man mir die Tamagotchis nicht und verharmlose sie nicht zu Sündenböckchen. Denn diese japanischen Dinger bekommen ja fast prophetische Größe, wenn sie die virtuelle Verblödung bewußt machen. Doch wer längst an einen Tamagotchi-Gott glaubt, wird weiter mit Lust die Sünden der anderen beichten.

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