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Dreher-Treue als Bedrohung

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Dreher war der Vater, Dreher sind die beiden Söhne. Im selben Betrieb, versteht sich. I )rei Jahre noch, und die Familie bringt hundert Firmenjahre zusammen.

Treue zum Betrieb, ein ganzes Arbeitsleben lang, Treue über Generationen.

Bei der Weihnachtsfeier waren die Firmenjubilare ausgezeichnet worden, schöne Urkunden gab es, und schöne Worte. Zwischen Weihnachten und Neujahr wurde eine Abteilung aufgelöst. Von Firmen-treue war nicht mehr die Bede, nur noch von Flexibilität. „Gottlob, daß der Vater das nicht mehr erleben hat müssen", sagte der ältere der Söhne. Ihn hat's getroffen. Für ihn stellte sich die Welt auf den Kopf:

Das Ideal der Firmentreue, mit dem er aufgewachsen war, galt plötzlich nichts mehr, verwandelte sich in einen Makel.

Flexibilität könnte das Wort des vergangenen Wirtschaftsjahres sein. Nur durch deutlich mehr Flexibilität würde das Wirtschaftswachstum zu mehr Beschäftigung fahren, heißt es. Und Nationalbankpräsident Liebscher erfand eine Wendung, die noch Furore machen wird: „Flexibilität der Lohnfindung". Kin wahrhaft flexibler Ausdruck für jede Art von Ausbeutung.

Bei einem Abend im Wiener Haus der Industrie sah der Wirtschaftsfachmann Helmut F. Karner die Arbeitswelt ernsthaft bedroht. Bedroht durch „unsere Mentalität und unser Statusdenken, die auf ein festes Beschäftigungsverhältnis in einem einzigen Unternehmen ausgerichtet sind".

In vielen Teilbereichen haben die Flexibilisierungsjünger recht. Gilt aber jener betriebstreue Dreher, der sich bisher als wertvolles Bädchen der Gesellschaft empfunden hat, als Bedrohung, geschieht in der gesamten Gesellschaft etwas Bedrohliches:

Die Treue, diese Tugend der Beständigkeit, der Zuverlässigkeit, des Festhaltens an einer eingegangenen Bindung, zerbröselt.

Flexibilität allein genügt nicht, die Wirtschaft wettbewerbsfähig zu machen. Flexibilität braucht einen ethischen Unterbau. Es gibt ihn noch nicht. Kr muß aber gefunden werden.

Vielleicht heißt er dann doch wieder Treue. Wenn schon nicht Treue zum Betrieb, dann wenigstens zum Werkstück.

Die Autorin

ist innenpolitische Redakteurin.

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