Von Lydia Mischkulnig.
Es wird schon glei dumper, so lautet das österreichische Weihnachtslied, das mir auf der Fahrt über die Sonnenblumenfelder des Weinviertels in den Ohren summt. Die Sonnenblumen sind dürr und braun, stehen in Reihʼ und Glied. Lasst die Köpfe nicht hängen, möchte man ihnen zurufen und weiter: Hüpft, hopst, springt in die Luft, wie es die Kinder tun, in ihrer Lebenslust. Optimismus kann man üben! Der Regen ist milder ausgefallen als angesagt und der Tank voll. Die Straßendörfer mit den Kriegsdenkmälern lassen wir hinter uns. Freut euch der Lebendigkeit auch mit Mundmaske. Da wird es schon leichter ums Herz und heller vor Augen durch die Lichter der Stadt. Man rollt auf die Kreuzung zu, ersehnt die Wohnung, die Bücher, die Kolumne, die noch zu verfassen ist. Denkt: Jede Sonnenblume in voller Blüte versprüht Lebenslust, aber das Heer der Verdorrten verbreitet die Trostlosigkeit, die Niederlage und den Winterfrust – o man beginge gern Fahnenflucht!
Die Ampel schaltet auf Rot. Und dann passiert es, in dieser Zeit herbstlicher Gedanken, dass ein Mensch mit besonderen Bedürfnissen die Kontrolle über seinen elektrischen Rollstuhl verliert. Er donnert ins Auto. Ein Knall an der Tür. Sachbeschädigung. Aug in Aug, just, als über den amerikanischen Präsidenten verkündet wird, er wolle Kriegsveteranen mit amputierten Gliedmaßen auf den Militärparaden nicht sehen und Gefallene seien Loser für ihn. Eine ordentliche Delle hat sich in die Tür gedrückt. Wie handeln? Ist ein Personenschaden entstanden? Die Ampel noch immer auf Rot. Der Rollstuhlfahrer verdattert, bringt sein Vehikel in Position und fährt langsam, dann immer schneller davon. Die Empörung darüber nimmt proportional zu seiner Entfernung zu. Die Ampel für Autofahrer jetzt grün. Die Polizei wird gerufen, der Rollstuhlfahrer gesucht. In der Anzeige steht Fahrerflucht.
Die Autorin ist Schriftstellerin.