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Rundfunk gesäubert?

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Die liberale, radikale und sozialistische Opposition bezeichnet die jüngsten Entlassungen beim ungarischen Rundfunk als eine politische Entscheidung. Mit der Kündigung von 129 Mitarbeitern durch die Regierung gehe es darum, zwei Monate vor den Parlamentswahlen auch diese Anstalt des öffentlichen Rechts zu usurpieren. Gefaßt auf Anschuldigungen dieser Art legt die vom geernten Gastronom und Gegner der Veröffentlichung der Stasi-Unterlagen Peter Boross angeführte Koalition Gelassenheit an den Tag.

Die Politisierung der Angelegenheit scheint ihr offenbar das kleinere Übel zu sein, dessen Wogen sich in Ermangelung an Reaktionen sicherlich bald glätten würden. Diese Rechnung scheint mittlerweile aufzugehen. Die Solidarität der nicht entlassenen spitzenoppositionellen Redakteure reicht höchstens bis zur Bereitschaft, sich an einem kurzen Sitzstreik zu beteiligen.

Den Gekündigten wird vom kommissarisch ernannten Intendanten Läszlό Csucs „ethisches Fehlverhalten“ bescheinigt. Es gehe auch um finanzielle Schwierigkeiten der Anstalt, die samt der Untragbarkeit der Uberbesetzung in den Untersuchungen des Rechnungshofes ihren Niederschlag gefunden hätten.

Ungarns Demokratie ist noch weit davon entfernt, dem Bürger die rechtmäßig garantierte Möglichkeit des Einblicks in Untersuchungen dieser Art zu sichern. Man möchte doch das Ehrenwort von Amtspersonen glauben. Außerdem, und dies wird in den Erklärungen der Rundfunkleitung stets diskret angedeutet, seien ja die Betroffenen bereit, die Entscheidung hinzunehmen.

Wahrhaftig. Keiner der Gekündigten hat die Absicht, den Beschluß gerichtlich anzufechten. Als gäbe es tatsächlich ein Gentleman-Agreement mit der Intendanz über das möglichst lautlose Gehen als Gegenleistung dafür, daß die Erforschung der zwischen dem „ethischen Fehlverhalten“ und den Untersuchungen des Rechnungshofes bestehenden mutmaßlichen Zusammenhänge nicht der Staatsanwaltschaft überlassen wird.

Fest steht, daß die vom Steuerzahler auszugleichenden Verluste des Rundfunks von Experten jährlich auf mehrere Millionen Forint geschätzt werden. Es handelt sich dabei unter anderem ums System der ausgezahlten Honorare an ungelieferte Beiträge, um die Vergabe von Aufträgen an fingierte Personen oder an unter mehreren „Künstlernamen“ tätige Festangestellte, denen die gleichzeitige Betätigung als freie Mitarbeiter laut Dienstvorschrift untersagt wäre; es geht auch um die Betätigung regelrechter Familienclans oder „Bekanntenkreise“ in fast allen Redaktionen.

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