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Festhalten verrinnender Zeit

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Die Druckgraphik als Kunsthandelsobjekt ist siech. Aber für Photographien werden steigende Beträge gefordert und bezahlt. Freilich muß es sich um Originale handeln: Abzüge, die von entsprechend hochgeschätzten Meistern der Kamera von ihren eigenen Negativen selbst hergestellt warden, oder um zeitgenössische Kopien von Aufnahmen mit hohem pho- togeschichtlichem Wert. Am höchsten notieren die photoge- schichtlich wie kiinstlerisch bedeutenden friihen Meister der Photographic, fiir ein Album mit 94 angebräunten Bildnissen von Julia Cameron wurden vor zwei Jahren fiber zwei Millio- nen Schilling bezahlt. Aber auch Originalabzüge des erst 1975 verstorbenen großen amerikanischen Photographen Walker Evans, vor allem seine Bilder aus den dreißiger Jahren, sind heute fiir vierstellige Beträge kaum mehr zu haben.

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Die Druckgraphik als Kunsthandelsobjekt ist siech. Aber für Photographien werden steigende Beträge gefordert und bezahlt. Freilich muß es sich um Originale handeln: Abzüge, die von entsprechend hochgeschätzten Meistern der Kamera von ihren eigenen Negativen selbst hergestellt warden, oder um zeitgenössische Kopien von Aufnahmen mit hohem pho- togeschichtlichem Wert. Am höchsten notieren die photoge- schichtlich wie kiinstlerisch bedeutenden friihen Meister der Photographic, fiir ein Album mit 94 angebräunten Bildnissen von Julia Cameron wurden vor zwei Jahren fiber zwei Millio- nen Schilling bezahlt. Aber auch Originalabzüge des erst 1975 verstorbenen großen amerikanischen Photographen Walker Evans, vor allem seine Bilder aus den dreißiger Jahren, sind heute fiir vierstellige Beträge kaum mehr zu haben.

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Die Mahnung eines bekannten Wiener Photogaleristen, den Erwerb eines Blattes um, beispielsweise, 21.600 Schilling für einen Evans-Abzug des „Hardware Store” aus dem Jahr 1936 nicht so sehr als Geldanlage wie als Befriedigung eines leicht fetischistisch getönten, an höchsten technischen Maßstäben orientierten Besitzstrebens zu betrachten, ist dabei fast schon mehr Werbung als Warnung. Der „Hardware Store” ist, mit 41 anderen Evans-Originalen, in der Galerie Ariadne in der Wiener Bäckerstraße zu sehen. (Auch das Museum des Zwanzigsten Jahrhunderts hat Evans bereits eine Retrospektive gewidmet.)

Wer sich für die Photographie als Kunst interessiert, sollte sich diese Evans-Ausstellung nicht entgehen lassen. Auch und gerade dann, wenn er es vorzieht, um ein Zwanzigstel dessen, was der billigste Originalabzug kostet, etwa den 1971 vom New Yorker Museum of Modern Art publizierten

Evans-Photoband zu kaufen. Denn der Druck, zumal ein so hochwertiger, unterdrückt zwar kein Detail, das der „print” hergibt, hat aber eben doch nicht den - nun einmal unleugbar vorhandenen - sinnlichen Reiz der Originale.

Faszinierend am Gesamtwerk von Walker Evans ist das Zusammentreffen einer „dokumentaristischen”, auf das Festhalten der verrinnenden Zeit gerichteten Obsession mit einem außerordentlich hohen technisch-handwerklichen Anspruch. Walker Evans war vermutlich der größte optische, Registrator des „American Way of Life” in genau jener Phase, in der ebendieser way of life fragwürdig wurde, Registrator der Frag-Würdig- keit im vollen Sinn dieses Wortes. Er war ein ebenso unbestechlicher wie unaggressiver Registrator, ein Photograph der Menschen und der Dinge, einer, dessen gestellte Stativaufnahmen mehr Realität, auch menschliche, auch soziale Realität, einfangen als Hunderttausende sogenannte

Schnappschüsse.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte er die Technik seiner „Sub- way-photos” (mit im Mantel verborgener Kamera). Stativaufnahmen wie Schnappschüsse, gestochen scharfe Gruppenbilder kubanischer Dockarbeiter aus den dreißiger Jahren wie die „statuarische Flüchtigkeit” der Schnappschüsse, die Menschenbilder wie die photographischen Dokumente der in den Wohnungen und Dingen der Armen, in menschenleeren Zimmern voll peinlicher Bemühung um Adrett- heit, Nettigkeit, Aufgeräumtheit, festgehaltenen Armut, sind Dokumente der festgehaltenen Zeit, zugleich aber auch der beharrlichen Obsession eines Künstlers, der sich auf seiner lebenslangen „recherche du temps perdu” befand, und, dem im Augenblick des Vergehens schon Vergangenen nachjagend, zum Wesen der Photographie vorstieß.

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