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Figuren wie von Tschechow

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Mit seinem Roman „Das Herz des Patrioten” hat sich der 1946 geborene Jewgeni Popow erstmals dem deutschsprachigen Publikum vorgestellt und als einer der interessantesten Vertreter der jungen russischen Literatur erwiesen. Mit „Die Wunderschönheit des Lebens” liegt nun eine Art Fortsetzung und ein äußerst ehrgeiziges Unterfangen gelungen übersetzt vor.

Wie der Untertitel besagt, handelt es sich um ein „Kapitel aus einem Roman mit Zeitung, der niemals begonnen wurde und niemals beendet wird”. Popow wollte eigentlich die Ge-schichtedes zwanzigsten Jahrhunderts schreiben, in der jedes Jahr ein Kapitel bekommen hätte, ließ aber die 1960 Kapitel seit Christi Geburt weg, da die „bewußte literarische Betätigung” des Autors erst 1961 begonnen habe. Das klingt ein bißchen kokett, leicht anarchisch, in jedem Fall hat es etwas mit der Lust am Fabulieren zu tun. Und das läßt amüsante Lektüre erwarten.

Jedes Kapitel besteht aus einem Text über das entsprechende Jahr, den Zeitungsausschnitten dazu (überwiegend aus der „Prawda” und der „Literaturnaja Gazeta”) und einer Erzählung, die jeweils Mitte der achtziger Jahre geschrieben worden ist. Manche Ereignisse scheinen einem etwas fem, man braucht etwas Geduld, bis man sich in diese aus Schlagzeilen, Parteipropaganda und damit kontrastierenden Kabinettstückchen des Autors montierte Chronik der laufenden russischen Ereignisse hineingelesen hat.

Wer Spaß an intellektuellem Schabernack, heimtückischer Politsatire und literarischen Experimenten mit dem Absurden hat, dem gerät die Lektüre zum amüsant-lehrreichen Vergnügen. Fröhlicher und geistreicher ist mit dem Marxismus selten abgerechnet worden, etwa in dem Herzstück unter dem Titel „Auf den Pfahl”. Ratlose russische Seelen, voller Würde, auch wenn sie für ihr Nichtstun eine Tracht Prügel beziehen: Melancholie als patriotisches Spiel.

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