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Fragen an die Gegenwart

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Paul Yorck von Wartenburg, Nachkomme des preußischen Militärreformators, hat, wie sein von Hitler hingerichtete Bruder, zu Kirche und Staat vielfach in Opposition gestanden. Wie unter Adenauer so auch unter Brandt, dessen konträre Ostpolitik ihm gleichfalls mangelhaft erscheint. Das wenig umfangreiche Buch enthält unter anderem die folgenden Aufsätze und Vorträge: Über die geistige Krise unserer Zeit / Das Rechtsproblem — dargestellt am Strafrecht / Europa — Vermächtnis und Verpflichtung / Soldat im Abendland — Fragezeichen / Protestantische Selbstbesinnung / Das christliche Gewissen und die Verschwörung vom 20. Juli 1944 / Die Grenzveränderungen im osteuropäischen Raum und ihr möglicher Einfluß auf Polens Politik / Die Juden und die Schuld der Christen / Preußen — Versuch einer geistesgeschichtlichen Abgrenzung.

Vor allem übt Yorck Kritik an der Anthropologie des Humanismus. Es sei verhängnisvoll, irreführend,

über den Menschen etwas auszusagen, was nur „in der Heilskraft Gottes“, das heißt unter ihrer Voraussetzung, von ihm ausgesagt werden könne. Yorck wendet sich gegen die Selbstvergötzung des „abgefallenen“ Menschen, gegen seine Flucht vor der Aufgabe hinter kollektive Deckungen, wie immer sie heißen mögen. Er verfährt besonders eindringlich gegen eine wert-indifferente Evolutionshteorie, gegen den Fortschrittsglauben an Möglichkeit und Notwendigkeit, den existenten Menschen umzuschaf/en.

Das alles ist nichts Neues, steht nicht einzig da. Lesenswert ist vor allem Yorck selbst, besonders eindrucksvoll seine Anschauungen des Rechtsproblems, dargestellt am Straf recht. Da heißt es: Wenn das Strafrecht gegenüber dem Zustandsverbrecher seine Geltung verliert, weil es sich nicht gegen Kranke richten kann, und wenn es dort in Frage steht, wo eine mittelbare Verursachung des Verbrechens durch die Gesellschaft evident ist, so ist damit ausgesprochen, daß seine Motivation nach der Rechtsstaats- wie nach der Zweckmäßigkeitstheorie ungenügend ist.“ Es ist de facto auf die Relativität selbst gegründet und vermag weder von der Sittlichkeit noch vom Effekt her zu überzeugen. Ein funktionelles, utilitaristisches Rechtsdenken erlebt hier sein Fiasko, das sich allein dem reibungslosen Ablauf des gesellschaftlichen Lebens verpflichtet weiß und für die gesamte Rechtsordnung typisch ist. Yorck reklamiert dagegen das Richtschwert der Heiligen Schrift, aber nicht als Henker, sondern als irdisches Gleichnis des Jüngsten Gerichts. Es ist gegen die ganze Welt der Sünde gerichtet. Jeder Mensch sei reif für dieses Schwert, „hat doch die Sünde nicht Tatcharakter, sondern Seinscharakter“. York definiert das Verbrechen geradezu als „Gemeinschaftshandlung der Menschheit“. Ich denke, das genügt; es ist schwer genug. Über die menschliche Solidarität ist schon viel Schönes gesagt worden; es bleibt wesenlos. Nach Yorck ist unsere wesenhafteste Bindung die Schuld, die ihrer Essenz nach unteilbar und für jeden die ganze sei, der „unentflechtbare Schuldkonnex, in dem wir stehen“. Wird Schuld zusammen mit Sühne künftig, an Stelle von Dummheit, Hoffart, Lüge und Mord als „erstes Menschenrecht“ anerkannt, ist eine Tat „im Sinn des Testaments getan“, darf man Yorck von Wartenburg als einen seiner Verfasser ehren.

BESINNUNG UND ENTSCHEIDUNG. Von Paul Yorck von W artenburg. Vorwerck-V erlag, Stuttgart 1971.

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