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Gedenktafel in Ottakring

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Die immer mehr um sich greifende Mundartwelle in der Literatur hat sich inzwischen auch religiöser Stoffe bemächtigt (siehe „Jesus und seine Hawara“). Nun hat ein junges Filmteam — Wilhelm Pellert und Helmut Korherr — nach einem eigenen Volksstück eine Vorstadtpassion geschaffen, die sieh sehen lassen kann. — Dabei kommt der besagte „Jesus von Ottakring“ gar nicht ins Bild. Wir erfahren von ihm nur aus Zeugnissen seiner Mitmenschen, die ihn als Verkünder ethischer Maximen aus der Bibel und als sozialen Reformer ablehnen und schließlich erschlagen; einige Jahre später wird für „Jesus von Ottakring“ durch den Bezirksvorsteher eine Gedenktafel enthüllt.1

Die Assoziation zum religiösen Bereich wird außer durch den Beinamen Jesus für einen jungen Otta-kringer Bürger nur durch Zwischentitel und Zeichnungen gegeben, die Variationen der bekannten Kreuzwegstationen darstellen. Mas Hauptgewicht liegt auf der Zeichnung einer Mentalität, die den „Herrn Karl“ in vielfachen Variationen des männlichen und weiblichen Geschlechts abwandelt: Borniertheit, Intoleranz und Brutalität gegen Außenseiter, seien es solche aus generationsbedingten, religiösen oder nationalen Motiven. So wird neben der scheinheiligen Kleinbürgerlichkeit auch der schon tief verwurzelte Haß gegen die „Tschuschen“ angeprangert.

Eine klare geistige Linie kann man dem Film also ebenso attestieren wie eine in ihrer Vitalität überzeugende Erfassung des Vorstadtmilieus, wobei es den jungen Autoren auch gelungen ist, einige Schauspieler zu bester Wirkung zu führen. So war Rudolf Prack, fast 40 Jahre im Filmgeschäft, noch nie so gut wie diesmal; Peter Hey, Hilde Sochor, Marianne Gerzner und Emanuel Schmied präsentieren plastisch und differenziert Menschentypen, wie wir sie nur zu gut kennen. — Auch in der Kameratechnik zeigen sich die jungen Filmgestalter erstaunlich

versiert. Einige Mängel der Dramaturgie und des Schnitts sind als Anfängerkrankheiten wohl nicht zu übersehen. Der schwächste Teil des Films scheinen mir die von Herwig Seeböck vorgetragenen Zwischensongs. — Insgesamt aber wohl ein beachtlicher Abgesang auf das vielgerühmte „goldene Wienerherz“, das oft von stählerner Härte sein kann.

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