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Gehversuche eines Dramatikers

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Mit zwei Ausgrabungen von vergessenen und kaum gespielten Schnitzlereinaktern - „Die Frau mit dem Dolche“ und „Literatur“ —demonstrierten die Komödianten, wie man Theatergeschichte aufarbeiten kann, wie man schlechte Stücke aufbereiten kann, ohne daß es auf Kosten der Inszenierung geht. Man fand wieder einmal bestätigt, daß geniale Theaterautoren nicht einfach entstehen, sondern an sich arbeiten, daß selbst ein Schnitzler Jugendsünden verbrochen hat.

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Mit zwei Ausgrabungen von vergessenen und kaum gespielten Schnitzlereinaktern - „Die Frau mit dem Dolche“ und „Literatur“ —demonstrierten die Komödianten, wie man Theatergeschichte aufarbeiten kann, wie man schlechte Stücke aufbereiten kann, ohne daß es auf Kosten der Inszenierung geht. Man fand wieder einmal bestätigt, daß geniale Theaterautoren nicht einfach entstehen, sondern an sich arbeiten, daß selbst ein Schnitzler Jugendsünden verbrochen hat.

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Der erste Einakter „Die Frau mit dem Dolche“ ist eine solche. Der mißlungene Versuch, auf den .Spuren Freuds und seiner Traumdeutung zu wandeln. Ein kitschig mißratener Versuch, die Realität des psychischen Erlebnisbereiches zu vermitteln. Die Erinnerungsreise einer Frau mit ihrem Anbeter in die Renaissance, in die Traumerinnerung an eine Schuld. Ein Frauenporträt in einem Museum der Jahrhundertwende wird zum Begleiter und zum auslösenden Motiv für einen Ausflug in ein Maleratelier der italienischen Renaissance. Schnitzler auf dramatischem Versuchsflug. Die Bauchlandung ist eine logische Konsequenz.

Ebenso konsequent auch die Inszenierung, welche die Schwächen des Stückes erst gar nicht zu verdecken sucht, die aber mit einem grandiosen Bühnenbild nicht genau Artikuliertes nachvollzieht, aus dem Stück mehr macht als es eigentlich ist. Das Publikum ist vom Geschehen auf der Bühne getrennt durch ein feinmaschiges Gitter, einen Schleier fast, der Distanz schafft, historische und psychische Dimensionen ausdrückt und nebenbei zu eindrucksvollen Lichteffekten verhilft, wenn etwa am Anfang der ersten Szene nur das Frauenporträt aus dem Dunkel auftaucht, fast bedrohlich sich zu nähern scheint.

„Schnitzlerähnlicher“ geht es im zweiten Einakter zu. „Literatur“ ist eine bitterböse Satire, aggressiv, treffend in den Dialogen. Die Geschichte einer Frau, die glaubt, schreiben zu müssen, vom zukünftigen Ehemann aber daran gehindert wird. Scheinbar zumindest, denn heimlich schreibt sie weiter. Einen Schlüsselroman. Bis sie entsetzt erfährt, daß ihr ehemaliger Liebhaber einen ähnlichen „Schlüsselroman“ verfertigt hat, daß beide in ihren Werken ihre Liebeskorrespon-denz verwertet haben. Bis schließlich der dumme, pferdenärrische, adelige Ehemann die Affäre ins Reine bringt, ohne es selbst zu bemerken. Im Glauben an die unerschütterliche Liebe der frustrierten Schriftstellerin. Ein böses, bissiges, entlarvendes Happy-end.

Hier hat Schnitzler die Verlogenheit und Scheinkreativität von der bürgerlichen Maske gerissen, hat das sogenannte Schöngeistige einer Epoche als leeres Gefasel von eingebildeten Emotionen hingestellt, als Negieruhg des eigenen Untergangs, der eigenen Dummheit. Und er hat subtil den immer stärker werdenden Antisemitismus, den Rassismus anklingen lassen, die in Selbstmitleid und Realitätsflucht verdrängte Resignation einer Epoche, die den Untergang bereits ahnt. Der letzte Aktivismus ist nur noch Strohfeuer. Ein enorm gesellschaftskritischer, ein fast realistischer Schnitzler, der ganz konkret Stellung bezieht. Eine Überraschung. Da bricht die Schnitzlersche Dramaturgie der späteren Jahre schon durch, die dialogische Perfektion, der aggressive Wortwitz.

Und auch hier wieder eine Inszenierung, die trifft, die Schnitzlers Intentionen vermitteln kann, seine Welt, seine Kritik. Der adelige Salon ist zu einem möblierten Zimmer regrediert; Geist im Kleinformat, ein wenig wurmstichig schon.

Sehr nuanciert auch die drei Schauspieler, diszipliniert, zurückhaltend, dann wieder ausufernd komödiantisch. Ein Vergnügen, der Abend im Künstlerhaus. Eine Belebung, eine Demonstration von gutem, ehrlichem Handwerk.

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