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Geschichte von Babylon neu erzählt

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Richard Wiley erzählt von jenen närrischen Prospekteuren, die beim Goldrausch im wilden Norden Amerikas ihr Glück zu machen hofften. Schauplatz ist Nome, Alaska, um die Jahrhundertwende, die Akteure, Glücksspieler und Hasadeure, auf der Suche nach ihrem Traum. Ein illustres Volk von Quer- und Dickschädeln, die die Stadt Nome aus jenem Boden stampfen, den sie zuvor nach Nuggets durchpflügt haben, bis fast nichts mehr übrig ist. Dazwischen stehen die Eskimos (besser Inuit, Menschen), die dem Treiben der „zivilisierten” Menschheit, repräsentiert durch kaputte Radaubrüder und korrupte Machtritter, eher gelassen-amüsiert zusehen, obwohl sich die Droge Gold langsam auch in ihre Herzen schleicht.

Der hektischen Betriebsamkeit der Narren hält Wiley eine langsame, minutiöse Erzählweise entgegen, in der es vor allem auf die kleinen, unscheinbaren Gesten ankommt. Es ist ein Buch der verstohlenen Blicke, der subtilen Charakterzeichnung, der traumwandlerischen Spurensuche bis in die finstersten Seelenwinkel der Polarnacht, als beobachtete jemand das bunte Treiben der Menschen aus großer Höhe und Distanz.

So schafft Wiley eine eigene poetische Wirklichkeit, deren Zauber man sich nicht entziehen kann. Nur die erzählende Instanz hält die aus den Fugen geratene Welt noch zusammen. Auch der Reverend, der sich ins Eskimodorf zurückgezogen hat, schafft dies nicht mehr, obwohl er wunderbare Predigten hält und Geschichten aus der Bibel weiterfabuliert, bis sie mitten ins Leben hineinreichen.

Am Schluß erfindet er auch die Legende vom Turmbau zu Babel neu. Daß die Menschen nur noch eine Sprache gesprochen haben, mußte zwangsläufig ins Unheil führen: die Sprache des Mammons als Voraussetzung der Katastrophe, jedes Nug-get als Ticket in den Untergang. Das ist nebenbei auch ein böser Seitenhieb auf den abgewirtschafteten amerikanischen Traum, in dem längst nur noch eine Sprache zählt. Es gibt nur den Ausweg, aus Nome zu flüchten und die Sprache der Liebe zu lernen.

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