Spätestens mit Wolfgang Hildesheimers Büchern über Mozart, den historischen Künstler, und Marbot, eine erfundene Figur, sind die Relationen von Fiktion und Biographie um neue Möglichkeiten erweitert worden. In „Piranesis Traum" dreht Köpf die Spirale noch ein Stück weiter: Er schreibt die fiktive Autobiographie einer historischen Figur; und der Kunstgriff, den Helden zu unserem Zeitgenossen zu machen, der in der Wüste Australiens lebt und auf den langersehnten Tod wartet, verwandelt den Kupferstecher des 18. Jahrhunderts in eine universale Figur.
Wie mancher Leser sich heillos in den Büchern verliert, so hat auch Pira-nesi nicht aus den Labyrinthen seiner Ruinen und Kerker herausgefunden. Der einzige Ausweg blieb ihm verwehrt: Nie durfte er bauen, immer mußte er seine gigantischen Entwürfe mit der „kalten Nadel" ritzen. Schuld daran sind seine liederliche Frau An-gelica, seine widerlichen Kritiker („senile Denkkrüppel") und sein Erzfeind Winckelmann, mehr „ein Mann von Steiß als von Kopf, bei dessen Händedruck Piranesi das Gefühl hat, die Hand „in eine Schüssel voll lauwarmer Pferdepisse getaucht zu haben".
Tosende Wortkaskaden, haßerfüllte Tiraden der Vergeblichkeit sind es, die Piranesi auf seine Zeitgenossen losläßt, weil der Wind des Unheils ihn sein Leben danebenleben ließ. Wie seine Gesinnungsbrüder, der „Verzweiflungshanswurst" Bernhard und Hildesheimers Marbot, strengt sich Piranesi an, um in Würde zu scheitern. Am Ende verzichtet er, der sein Leben in den Sand gesetzt hat, auf seinen letzten Traum.
Mit Piranesis Alpträumen ist Gerhard Köpf ein Künstlerroman gelungen, wie ich ihn noch nicht gelesen habe. Ein vielstimmiger, visionärer Monolog über die Rätsel der Kunst und des Lebens, ein bitterböses und abgründig weises Buch, ein kolossales Kunstwerk, bei dem der Autor Kopf und Kragen riskiert und alles gewonnen hat.
PIRANESIS TRAUM. Von Gerhard Köpf. Luchterhand Literaturverlag, Hamburg/Zürich 1992. 256 Seiten, öS 281,-.
