Die „wahren“ Wächter

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Vielleicht geht es gar nicht darum, wer die „wahren“ Wächter sind, sondern worüber sie wachen: die Menschlichkeit.

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Vielleicht geht es gar nicht darum, wer die „wahren“ Wächter sind, sondern worüber sie wachen: die Menschlichkeit.

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Er kehrt immer wieder, der Spruch: „Die Polizei – dein Freund und Helfer“. Obwohl er doch eigentlich 1988 aus dem öffentlichen Vokabular verbannt wurde. Denn es handelte sich um einen Spruch aus der NS-Zeit. Oder genauer: aus der Weimarer Republik. Bis Himmler ihn dann für seine perfiden Zwecke nützte und auf immer verdarb.

Der Ursprung dieses Mottos aber deutet auf etwas Zeitloses hin: das Misstrauen in die Polizeigewalt. Seit dem grausamen Tod des Afroamerikaners George Floyd im Mai 2020, der leider kein Einzelfall war, sondern auf ein „systemisches“ Problem des Rassismus hinwies, gab es Stimmen nicht nur für eine radikale Polizeireform, sondern für die Abschaffung der Polizei überhaupt. Auch dies wurde zum Kulturkampf in den USA: Wer noch an den guten Sinn der Polizei glaubte, galt zumindest als reaktionär.

Als nun in Israel sechzehn Polizisten einen Palästinenser misshandelten und angeblich mit einem Davidstern brandmarkten, entstand eine ähnliche Debatte. Denn aus dem Handeln der Polizei spricht das Denken des Staates. Und hier erinnert man sich vielleicht an eine bekannte Geschichte aus dem Talmud: Als Rabbi Chija und Rabbi Assi in eine Stadt kamen, baten sie, deren Wächter zu sehen. Man brachte die bewaffneten Männer. Da riefen die Rabbiner: Dies sind eure Wächter? Es sind die Zerstörer der Stadt! Wer dann seien die wahren Wächter? Da erwiderten die Rabbiner: Es sind die Lehrer der Bibel und des Talmuds.

Aus den „wahren“ Wächtern der Stadt – Neturei Karta – wurde in Israel eine extremistische religiöse Partei, die den Staat ablehnt. Ob Lehrer oder Polizei: Ein Vertrauensproblem haben sie beide. Doch vielleicht geht es gar nicht darum, wer die „wahren“ Wächter sind, sondern worüber sie wachen: dass sie nämlich wachen über die Menschlichkeit.

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