Eine gemeinsame Sache

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Asher D. Biemann über das In-Erinnerung-Rufen einer nicht selbstverständlichen Gegenwart.

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Asher D. Biemann über das In-Erinnerung-Rufen einer nicht selbstverständlichen Gegenwart.

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In Leipzig lief gerade eine jüdische Woche mit dem Thema „Die ganze Stadt als Bühne“. In Wien gab es unlängst ein jüdisches Straßenfest. In Berlin gibt es die jüdischen Kulturtage. Warum eigentlich? Warum gibt es jüdische, muslimische oder queere Kulturtage? Warum gibt es in den USA den „Black History Month“? Warum gibt es Pride-Paraden?

Zum einen vielleicht nach dem Motto des jiddischen „Partisanenlieds“: „Mir sennen do“ – wir sind da! Das Dasein selbst soll kundgetan werden, und in diesem Kundtun liegt schon etwas von Protest. Protest nicht gegen die vermeintliche Mehrheitskultur, sondern gegen eine jede Kultur, ob Mehrheit oder Minderheit, die nichts anderes anerkennen will als sich selbst. Das „Wir sind da!“ dieser Kulturereignisse ist sowohl ein Wachrufen als auch das In-Erinnerung-Rufen einer nicht selbstverständlichen Gegenwart. Besonders in Europa rufen jüdische Kulturfeste etwas in Erinnerung: Sie sind das bleibende Dennoch der Geschichte. Zum anderen nun machen Kulturereignisse ein sonst Unsichtbares sichtbar. Wir wissen oft wenig von anderen Kulturen, auch wenn sie mit uns leben. Kulturtage machen neugierig, und Neugier geht auf Anderes zu. Auch eine Pride-Parade macht neugierig. Der „Stolz“, den sie zeigen will, ist kein leerer, sondern der einer Selbstachtung, die ihre Rechte erst einzufordern hat. So können Kulturereignisse öffentliche Bollwerke sein gegen Vorurteil, oder solches wenigstens entlarven.

Natürlich gibt es auch andere Paraden: Militärparaden und Märsche rechtsradikaler Gruppen. Auch sie wollen etwas sichtbar machen. Jede Parade, jedes Kundtun muss sich dieser Ambiguität stellen. Daher braucht jedes Kulturereignis eben auch eine Öffentlichkeit, die unterscheiden kann, welche Sache der Kultur dient, und welche nicht. Denn Kultur ist immer gemeinsame Sache.

Der Autor ist Professor für moderne jüdische Philosophie an der University of Virginia, USA.

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