Pessimistisches im Optimismus

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Wer darf heute das unaussprechliche, höhnende, herzlose Wort des Optimismus mit gutem Gewissen noch gebrauchen?

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Wer darf heute das unaussprechliche, höhnende, herzlose Wort des Optimismus mit gutem Gewissen noch gebrauchen?

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Von Schopenhauer stammt bekanntlich der Ausspruch eines „ruchlosen Optimismus“, welcher angesichts des Leids in dieser Welt wie Hohn und Spott erscheinen muss. Wer darf heute noch „optimistisch“ denken, von einer besseren Zukunft reden oder überhaupt noch „hoffen“? Ist nicht schon das große Urteil gefallen über das Ableben der Demokratien, den Aufstieg der neuen Mächte, die Verarmung einer halben – beinah schon ganzen – Welt und den letzten Atemstoß der Erde selbst? Wer darf heute über die Grenzen blicken oder tief hinein ins Innerste unserer Gesellschaft und das unaussprechliche, höhnende, herzlose Wort des Optimismus mit gutem Gewissen noch gebrauchen?

Und dennoch war es Immanuel Kant, der dieses Wort zur Pflicht erklärte, uns daran zu erinnern, dass „wir sind!“. Und so wurde es auch zu einer Art Schibboleth des modernen Judentums. Max Nordau sprach am Fin de siècle von einem „unentwurzelbaren“ Optimismus als „Bekräftigung der Tatsache des Seins“. Leo Baeck schrieb 1905 vom Optimismus als Anerkennung der Zukunft als Gebot. Hermann Cohen nannte nach dem Ersten Weltkrieg den Optimismus eine Weisheit im praktischen Sinn, nämlich die Anleitung zur „praktischen Reform der irdischen Lage“. Karl Popper sprach nach dem Zweiten Weltkrieg wieder von einem Optimismus als Pflicht, genau wie Kant, aber auch in einer jüdischen Denktradition, in der er vielleicht unbewusst verwurzelt war.

Was diesen Denkern gemeinsam ist und auch für uns heute wieder relevant erscheint, ist ein Optimismus, der gerade in Zeiten der Krise nicht das Vertrauen verliert in die „Bestimmung“ des Menschen, sondern, im Gegenteil, eine Zuversicht bedeutet, die nicht hoffen darf, weil sie getan werden muss. Darin, schrieb Leo Baeck, hat der Optimismus auch sein Pessimistisches: Denn „in ihm spricht der Protest“.

Der Autor ist Professor für moderne jüdische Philosophie an der University of Virginia, USA.

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