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Heiße Kastanien

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Die „Interpol“, International Police Organization, die vor 50 Jahren in Wien gegründet wurde und nun bereits die Polizei von 114 Staaten als Mitglieder hat, veranstaltete kürzlich ihre 42. Generalversammlung im Kongreßzentrum der österreichischen Bundeshauptstadt.

Es gab Konferenzen, Reden, Diskussionen in kleinen Gruppen, Besichtigungen in Salzburg und schöne Worte. Wird sich das alles als nützlich erweisen?

In Wirklichkeit droht der Interpol eine politische Spaltung, die kaum noch zu reparieren ist. Unter dem Zeichen des palästinensischen Anschlags und der darauffolgenden Repressalien ist dieses Problem akuter denn je. Die Interpol befindet sich in einer Krise. Es gibt bereits Stimmen und Überlegungen unter den Delegierten der dritten Welt, eine neue, also zweite internationale Polizeiorganisation sei notwendig, denn nach der Meinung dieses Delegierten wäre die jetzige Interpol ein Werkzeug der „westlichen“, also „kapitalistischen“ Staaten.

Die Interpol steht jetzt, soviel ist gewiß, vor einem Scheideweg, weil die Unterscheidung von politischen und kriminellen Verbrechern immer schwieriger und heikler wird. Die Baader-Meinhof-Bande in der Bundesrepublik Deutschland wurde als kriminell verfolgt und auch fast vernichtet, obwohl es sich um eine ideologische Gruppe handelte, deren Aktivitäten allerdings eindeutig kriminell waren. Dagegen hat die Tätigkeit der palästinensischen Terroristen, oder, wenn man will, der patriotischen arabischen Guerillas, eine ganz andere Voraussetzung.

Nun scheint sich die Theorie zu bestätigen, der die Vertreter der dritten Welt bei der Interpol ins-

geheim anhängen, daß nämlich die Praxis der Interpol diese zu einem Organ der „besitzenden“ Nationen mache, während „die armen Teufel der dritten Welt“ dabei nur als Nachtportiers fungieren, mit denen gemeinsam man gegen die Habenichtse vorgeht.

Die Frage, ob die Guerillaaktionen der arabischen Freischärler kriminell oder politisch sind, blieb bereits vier Jahre lang unbeantwortet. Auch in Wien blieb sie offen. Die westlichen Länder bestehen darauf, daß Flugzeugentführungen und Geisel-fängerei aus politischen Motiven als

kriminelle Verbrechen zu betrachten und zu verurteilen sind. Dies stößt auf den Widerspruch der Staaten der dritten Welt, vor allem der arabischen. Deren Meinung nach handelt es sich hier natürlich um eine politische Frage.

Anscheinend wollten die Delegierten der westlichen Interpol-Mitgliedsstaaten diesmal einen Beschluß geradezu erzwingen, der politische Entführungen als kriminell abstempeln sollte.

Manche der politischen Banden haben starke Hintermänner, die in den Regierungen, ja sogar in der Interpol-Organisation selbst sitzen, mit dem politischen Ziel, diese Organe sich nutzbar zu machen. Eine andere Tatsache ist es auch, daß Interpol-Beamte in einigen Ländern mit den Verbrechern verbündet sind. Ein gutes Beispiel dafür ist Hongkong.

Zum ersten Male nahmen zwei kommunistische Staaten, Jugoslawien und Rumänien, an der Generalversammlung teil und wurden als Mitglieder aufgenommen.

Unterdessen werden politische Delikte mit mehr oder weniger kriminellem Einschlag nicht verfolgt, Tupamaros werden vielleicht eines Tages Polizeiautos benützen können, um „kapitalistische Verbrecher“ aus den Banken und Großkonzernen herauszuholen und zu „bestrafen“.

Eine nicht zu leugnende Tatsache ist es, daß die Interpol ja ohnedies nur kleine Fische fangen kann. Die großen Tiere, Mafiosi, die in den oberen Rängen sitzen, sind nicht greifbar. Der Mord am Chauffeur eines berühmten französischen Filmschauspielers, der Fall Steiner, die Ermordung der Kennedys und viele andere Fälle bleiben für immer unaufgeklärt.

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