7021329-1988_45_20.jpg
Digital In Arbeit

I' wear narrisch!

Werbung
Werbung
Werbung

Wie sich die Töne gleichen! Ob der Vorhang sanft zu Boden schwebt, rasselnd niederfällt oder elegant zusammenrauscht — in den aufrauschenden Beifall mischt sich, neben dem freundlichen, durch regelmäßiges Gegeneinanderschlagen der Handflächen erzeugten Geräusch, seit einiger Zeit regelmäßig eine ungewohnte Begleitmusik.

Wenn nun die Darsteller an die Rampe treten, steigert sich, was zuvor mit einigem Wohlwollen noch überhört werden konnte, zu eindeutiger Lärmentwicklung: zerquetschte Vokale, verriebene Diphtonge, zuletzt in unkontrolliertes Jubelgeheul übergehend, erinnern den erstaunten Theaterbesucher an seine früheren Erlebnisse auf dem Stehplatz der legendären Hütteldorfer Pfarrwiese, wenn die Grünweißen in der Rapidviertelstunde der Austria doch noch ein Bummerl machten.

Im Mittelpunkt der neuen Jubelstürme stehen aber weder der

Bimbo Binder noch Hans Krankl — nein, ephemere Gestalten werden nun zu Adressaten des Gebrülls: die Jungfrau von Orleans, Richard III., Professor Bernhardi. Ist doch schön, wenn sich die Begeisterung nicht bloß auf den Fußballplatz beschränkt, nicht wahr?

Weniger schön aber ist die Stereotypie, mit der sich das Gejohle bei jeder Repertoirevorstellung wiederholt! In die Bravos mischen sich (zustimmende) Pfiffe, Anfeuerungsrufe — nun führen die Schauspieler noch eine Privatvorstellung für die treuen Schreihälse auf, rennen nach vor an die Rampe, stürzen wieder zurück — der Stehplatz tobt, liefert ekstatisches Beifallgeheul als Untermalung - die Schauspieler applaudieren dem Publikum — dieses dankt mit spitzen Jubelschreien und so weiter und so weiter.

Allmählich kenne ich dieses notorische Apres, das als Import aus Bochum sich über das Burgtheater auch auf die anderen großen Bühnen, schließlich bis zu den Kellertheatern ausgebreitet hat. Dennoch könnte es mir beim nächsten Rekord-Bravoschrei gehen wie Edi Finger in Cordoba: I' wear narrisch.

Die Fußballplatz- und Zirkusatmosphäre an Wiener Theatern, wo Begeisterung aus Selbstbefriedigungszwecken bereits wie eine Epidemie grassiert, hat mit wirklicher Freude über eine schöne Aufführung und Dank an die Schauspieler wenig zu tun. Standardmäßiges Gebrüll wie nach einem erfolgreichen Torschuß wirkt in dieser monotonen Abwicklung ebenso deplaciert wie nichtssagend. Freunde, nicht diese Töne!

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung