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Im Herzen unverloren

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Spricht man von Marion Gräfin Dönhoff als Journalistin, so muß man diesen Begriff näher definieren bzw. abgrenzen gegenüber landläufigen Vorstellungen vom intellektuellen oder naiven Blaustrumpf, von der redaktionellen Karrieristin oder gar dem journalistischen Flintenweib. Bereits 1907 glaubte Hofmannsthal „Umrisse eines neuen Journalismus“ zu erkennen, der nicht von Heine abstammt und nichts „von jener gedunsenen Trivialität, jener deklassierten Gespreiztheit, jener affektiven Vornehmheit hat, mit der der traurige deutsche Journalist plaudert“.

In den zahlreichen Artikeln, Berichten und Büchern von Marion Gräfin Dönhoff offenbart sich eine

Sie erhielt den Friedenspreis des

Deutschen Buchhandels 1971 andere Klasse, ja — sagen wir es ruhig — auch „Rasse“ des politischen Journalismus, als die gewohnte. Das ist zunächst durch ihre Herkunft bedingt: Die Familie der Dönhoff kam vom Dunehof in Westfalen bereits um 1330 mit dem Schwertritterorden in den Osten Europas, zunächst nach Livland. Seit 1660 lebte die Familie auf ihrem Besitz, dem „Friedrichshof“ in Ostpreußen. Mehrere Dönhoffs waren in höherem staatlichen und diplomatischen Dienst, gleichgültig, wer dort gerade die Herrschaft ausübte: der Deutsche Orden, die Kirche, die Polen, Schweden, Russen oder Preußen. Ostpreußen war ihnen immer Heimat, und dieses Buch der Erinnerung, der Rechenschaft und Gewissenserforschung bezeugt es in jedem seiner Teile, auf jeder Seite.

Es beginnt mit dem bitteren Ende: der Flucht aus Ostpreußen im Kriegswinter 1944/45. Für ihren Bruder Dietrich hat sie 1941 die Schilderung eines Rittes durch Masuren aufgeschrieben. „Leben und Sterben eines ostpreußischen Edelmannes“ sind Blätter der Erinnerung für den 1944 hingerichteten Jugendfreund Graf Heinrich Lehndorff, der vom Volksgerichtshof im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli verurteilt worden war. Dann gibt es in dem Buch noch einige Kapitel Familiengeschichte und, als Nachwort, eine Rede, die Golo Mann anläßlich der Verleihung des Theodor-Heuss- Preises an Marion Dönhoff gehalten hat.

Die Autorin selbst war mit den vielen anderen, nachdem ihr eigener großzügiger Räumungsplan an der Torheit lokaler NS-Funktionäre gescheitert war, über Weichsel, Oder und Elbe geritten, überall alles im Aufbruch antreffend, mit dem Ziel Westfalen. Aber ihre neue Heimat wurde Hamburg, die Redaktion der Wochenschrift „Die Zeit“. Von hier aus hat Marion Gräfin Dönhoff ihre Meinung gesagt, zuerst zum Gewaltverzicht, zuletzt auch zum Territorialverzicht, in den die Deutschen einwilligen müßten.

Obwohl alles, was sie über Ostpreußen schreibt, von einer geradezu schmerzhaften Liebe zur Heimat geprägt ist, zum Land der dunklen

Wälder, der einsamen Seen und der breiten Alleen, zu den „einfachen Menschen“, wie sie auch Ernst Wiechert geschildert hat, vermag sie trotzdem auf den materiellen Besitz eben dieses geliebten Landes, in dem ihre Familie seit 18 Generationen beheimatet war, zu verzichten. Es lebt in der Erinnerung. Da ist es unverloren. „Der höchste Grad der Liebe“, schreibt Marion Dönhoff, „wird nicht dadurch dokumentiert, daß man sich in Haß verrennt gegen diejenigen, die die alte Heimat in Besitz genommen haben.“

Marion Dönhoff ist durch ihre Herkunft eine Konservative, die aber das Heil nicht in der Restauration sieht, sondern im Selbstverständnis und im Verstehenlemen der anderen. Nur so kann man Vertrauen

gewinnen, nur so die schöpferische Phantasie betätigen, die in Neuland führt. Ihr zeitgemäßes und ressentimentfreies Denken ist auf ebenso gründliche wie umfassende Kenntnisse der Realien gestützt (man lese nur einmal ihre Darstellung der strategischen Lage der Deutschen Wehrmacht während des Rußlandfeldzuges). So kann sie es auch wagen, ihrem Volk bittere Wahrheiten zu sagen, etwa die: „Wir haben keine Ahnung, in welcher Aversion und Abwehr ganz Osteuropa gegen Deutschland noch lebt!“

Uber allem aber steht ihr Wille zum Frieden und zur Wahrheit. Durch Wahrheit zum Frieden. Das ist genau das Gegenteil des bequemen bürgerlichen Pazifismus und nationalistischen Revisionismus, dessen Wortführer nur Illusionen nähren…

NAMEN, DIE KEINER MEHR NENNT. Erinnerungen an Ostpreußen. Von Marion Gräfin Dönhoff. Eugen-Diedrichs-Verlag.

180 Seiten.

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