Kaum jemand, der über die Ereignisse in Serbi en, Kroatien und Bosnien entsetzt ist, wird an ein Buch gedacht haben, das viel von der Mentalität der Balkanvölker verrät: Manes Sperbers Roman „Wie eine Träne im Ozean".
Zwar spielt die Handlung dieses umfangreichen Werkes zwischen 1931 und 1944, aber die Geschehnisse von damals werfen ein eigenartiges Licht auf die heutige Katastrophe im ehemaligen Jugoslawien. Bei Manes Sperber ist von Nationalismus die Rede, aber in einer intellektuali-sierten, humanisierten Form im Zusammenhang mit dem großen kroatischen Dichter Djura Zagoriac, dessen Persönlichkeit nach dem Vorbild von Miroslav Kf leza gestaltet wird.
Der Dichter ist ein individualistischer und nationaler Kommunist, der unter den Partisanen eine eigene Brigade schafft und an deren Spitze kämpft - nicht allzu lange, da er von der Moskauer Zentrale auf ungemein tückische und raffinierte Weise liquidiert wird.
Die Spannung zwischen kroatischem Nationalismus, Kommunismus und einer literarisch eingefärbten Anarchie zeigt die Quellen, aus denen die Emotionen und spontanen Aktionen genährt werden. Damals allerdings führten die Fäden nach Moskau.
Die zweite Schlüsselfigur ist Kommissar Miroslav Hrvatic, genannt Slavko. Er hatte noch in der Monarchie bei der Polizei begonnen, arbeitete gegen die Serben, schlug sich unter dem serbischen König Peter I. auf dessen Seite und „wütete gegen die Kommunisten und Kroaten". Seit 1941 war er Agent der GPU und der „geheime Vertreter der Russen bei den Partisanen". Dort steuerte er im Sinn Moskaus die Kämpfe und liquidierte als autoritärer Machthaber alle, die ihm gefährlich werden konnten.
Manes Sperber differenziert in scharfem Kontrast den idealistischen Dichter Djura Zagoriac, er ist geradezu der Gegenpol des Verbrechers Slavko, und er wird dessen Opfer. Dennoch sind es die höchst gefährlichen Illusionen des Dichters, der mit seinen Werken die Emotionen hochtreibt, und ungewollt den Weg ins Chaos öffnet. Hätte es ohne Djura je jenen Slavko gegeben?
