Die Dissidenten sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Diesen Eindruck gewinnt man stellenweise beim Lesen von Rolf Henrichs „Der vormundschaftliche Staat“. Der DDR-Rechtsanwalt veröff entlichte gerade seine Abrechnungen mit dem Ostberliner Regime, seine Enttäuschungen, seine verlorenen Träume als einst überzeugter Parteifunktionär beim Nachbarn, in der Bundesrepublik. Und was kommen mußte, kam: ein politisches Berufsverbot.
Ob der mutige Henrich noch mehr zu erleiden haben wird, Gefängnis und Freikauf, wird sich noch zeigen. Jedenfalls landete er einen Bestseller für die einen, ein „staatsfeindliches Pamphlet“ für die anderen. Dazwischen unüberbrückbare Schluchten, die auch der Betroff ene selbst nicht zu überbrücken vermag.
Was die kritischen Köpfe Biermann, Fuchs und Bahro schon vor Jahren über die DDR zu erzählen wußten, weiß der neue Stardissident nur zu ergänzen. Wie sich jedoch im anderen deutschen Staat nach dem Vorbild Ungarns oder Polens etwas ändern könnte, läßt er unbeantwortet. So bleibt eine anschauliche Zustandsbeschreibung-spannend und anschaulich erzählt.
DER VORMUNDSCHAFTUCHE STAAT.Von Rolf Henrich. Rowohlt Verlag, Reinbek 1989. öS 156,-.