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„In diesem Haus lebt Georg Mikes“

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Georg Mikes ist in Wien unterwegs, um Historisches und Aktuelles über das Wiener Kaffeehaus zu erfahren. „Der einzige wirklich große Beitrag der vielbeklagten untergegangenen Österreichisch-Ungarischen Monarchie zur Zivilisation der Menschheit war das Kaffeehaus.“ (So Georg Mikes in „Shakespeare und Mikes“.) Aber den Untergang des Abendlandes wird dieser aus Ungarn stammende Engländer gewiß nicht prophezeien. Und wenn noch so viele Kaffeehäuser dem Espresso weichen, er wird nicht schwarz sehen. Hat er doch sogar die „barbarische Kaffee-hauslosigkeit“ Englands noch mit Humor kommentiert.

Es gelingt, Georg Mikes scheinbar mühelos, Widersprüche aufzuheben und Gegensätze zu vereinen. Seinen Namen, zum Beispiel, kann man ohne Schwierigkeiten sowohl englisch als auch ungarisch aussprechen. Maiks oder Mikesch. (Er selbst bevorzugt Letzteres.) Aber er ist ein englischer Schriftsteller.

Den Unterschied zwischen sich und Shakespeare charakterisiert er so: „Er wurde in Stratford-on-Avon, in der Grafschaft Warwick (England) geboren; ich in Siklös, in der Grafschaft Baranya (Ungarn). Sehr wenige bedeutende englische Schriftsteller wurden in Siklos geboren -aber übrigens auch nicht allzu viele in Stratford.“ Er, der die englische Lebensweise in dem Buch „How to be an Alien“ schonungslos karikierte, ist selbst so ungeheuer englisch - er ist sicher der englischeste Ungar, der denkbar ist.

Worin liegt das Geheimnis dieses Mannes? Seine Satiren sind durch-

aus nicht zahnlos. Wären sie nicht so bissig, wären sie sicher nicht so erfolgreich geworden - wer lacht schon über durch und durch gutmütigen Humor? Sie sind sogar oft bösartig zutreffend. Und dennoch - sie ermöglichen eben nicht nur dem Ungar, über Engländer zu lachen, dem Deutschen über die Dänen, dem Engländer über die Deutschen. Man darf auch über sich selber lachen! Georg

Mikes' Bücher sind erfüllt von kosmopolitischem Verständnis für nationale Schrullen. Er liebt, was er komisch findet. Und findet Geliebtes komisch.

Ambivalenz ist für Georg Mikes kennzeichnend. Offenheit - nach allen denkbaren Seiten. Er hat die Gabe, die Schattenseite auch zu sehen, wenn er in der Sonne sitzt. Und beide Seiten in sein Bild von den Dingen und den Menschen mitein-zubeziehen.

Wie sieht Georg Mikes eigentlich Wien? Er weiß auch hier zu relativieren. Er meint, es käme darauf an, von welcher Seite man sich Wien nähert. Kommt man aus der Geschäftigkeit deutscher Großstädte, so wirkt Wien tatsächlich ein bißchen gemütlicher, ein klein wenig langsamer. Kommt man aber aus Budapest nach Wien, so bemerkt man auch an Wien einige Qualitäten einer westlichen Großstadt

Georg Mikes nimmt nichts, was er schätzt, todernst. Auch nicht seine eigene Person. Das heißt aber nicht, daß er sich nicht auch selbst eine gewisse Wertschätzung entgegenbringt. Er erzählte mir, daß in England einheitliche blaue Tafeln an den Häusern berühmter - meist verstorbener - Dichter prangen. Da steht dann beispielsweise: „In diesem Haus wurde George Bernard Shaw geboren.“ Mikes, viel zu lebendig, um von seinen Mitmenschen mit einem solchen Schild versehen zu werden, setzte sich sein kleines blaues Denkmal selber: „In diesem Haus lebt Georg Mikes.“

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