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Ja zu Technik, Kunst

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Mögen wir uns auch an verschiedenen Ufern aufhalten, so begegnen wir einander doch in der Frage nach dem Menschen und seiner Welt, in der Sorge um ihn und in der Hoffnung für ihn. Und wir tun dies in einer weltgeschichtlichen Situation, in welcher die Zukunft des Menschen radikal bedroht ist. In einer solchen Stunde sind alle schöpferischen, alle nachdenklichen und gutwilligen Menschen aufgerufen, ihre Kräfte mehr als je zu verbinden, damit der Weg der Menschheit nicht durch Katastrophen blockiert oder beendet werde …

In allen ihren Bereichen hat sich die Wissenschaft weitestgehend spezialisiert. Dies war eine der Voraussetzungen für jene Entdeckungen und Entwicklungen, die uns staunen lassen über den Geist des Menschen und die den Glaubenden darüber hinaus zum Lob des Schöpfers dieses Geistes drängen.

Die technische Anwendung des wissenschaftlichen Fortschritts hat die Bedingungen menschlichen Lebens vielfach verbessert. Man denke nur an die Erfolge im Kampf gegen Hunger und Schmerz.

Die von der Wissenschaft in Anspruch genommene Wertfreiheit, Wertneutralität ihres Handelns kann als asketische Distanz zu eigenem Wunschdenken reinigend auf die Analyse wirken, wenn sie sich nicht so verabsolutiert, daß sie den unabdingbaren Anspruch sittlicher Werte nicht mehr erkennt.

Angesichts der vielfältigen Bedrohungen der Menschheit als Folge technischer Umwälzungen wächst vielerorts die Skepsis gegen Wissenschaft und Technik und entwickelt sich da und dort sogar zur Feindschaft. Dennoch wird nicht der Verzicht auf Wissenschaft und technische Anwendung ihrer Ergebnisse die Probleme lösen, sondern nur ein fortgesetzter, vielleicht sogar noch stär

kerer Einsatz beider, freilich unter humanem Maßstab. Denn nicht Wissenschaft und Technik als solche bedrohen den Menschen, sondern ihre Loslösung von sittlichen Maßstäben.

Es ist an der Zeit, daß der Mensch — Gottes Ebenbild — wieder Herr und Ziel von Wissenschaft und Technik werde, damit das Werk seines Geistes und seiner Hände nicht ihn und seine Umwelt verschlinge.

Dazu müssen sich Wissenschaft, Technik und Politik jene Fragen stellen, die ebenso auf den unverwechselbaren Einzelmenschen wie auf die ganze Menschheit zielen, Fragen der Philosophie und der Religion, die auf Sinn, Grenzen, Prioritäten und Kontrolle wissenschaftlichen und technischen Handelns abzielen, wobei es selbstverständlich nicht um eine Eingrenzung oder Fremdbestimmung der sogenannten Grundlagenforschung in ihrer Suche nach der Wahrheit gehen darf…

Der Mensch und seine Welt, unsere Erde, müssen bewahrt und entfaltet werden. Dazu gehört ein behutsamer Umgang mit dem Leben, auch mit dem tierischen Leben, und mit der ganzen belebten und unbelebten Natur. Die Erde ist im Horizont des Glaubens kein schrankenlos ausbeutbares Reservoir, sondern ein Teil des Mysteriums der Schöpfung, dem man nicht nur zugreifend begegnen darf, sondern Staunen und Ehrfurcht schuldet.

Das Staunen öffnet uns aber nicht nur einen oft vergessenen Weg zur Natur als Schöpfung Gottes, sondern auch einen Weg zur Kunst als Werk des schöpferischen Menschen…

Der einzelne wie die Gesellschaft brauchen die Kunst zur Deutung von Welt und Leben, zur Ausleuchtung der epochalen Situation, zum Erfassen der Höhen und Tiefen des Daseins. Sie brauchen Kunst, um sich dem zuzuwenden, was die Sphäre des bloß Nützlichen übersteigt und so erst

den Menschen vor sich selber bringt.

Sie brauchen Literatur und Dichtung: ihr sanftes wie ihr prophetisch zorniges Wort, das oft am besten reift in Einsamkeit und Leiden. Nach einem tiefen Gedanken Beethovens ist der Künstler gewissermaßen zu einem priester- eichen Dienst berufen.

Auch die Kirche braucht die Kunst, und zwar nicht zuerst, um ihr Aufträge anzuvertrauen und so ihren Dienst zu erbitten, sondern um mehr und Tieferes über die „conditio humana“, über Glanz und Elend des Menschen zu erfahren. Sie braucht die Kunst, um besser zu wissen, was im Menschen ist: in jenem Menschen, dem sie das Evangelium verkünden soll. ,

Im besonderen bedarf die Kirche der Kunst für ihre Liturgie, die in ihrer Vollgestalt ein durch den Glauben inspiriertes Kunstwerk unter Einbeziehung aller schöpferischen Kräfte sein will.

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