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Kein Job für Waffenschmiede

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Von 1955 bis 1991 investierten US-Regierungen insgesamt eine Trillion Dollar in die wissenschaftliche Entwicklung neuer, meist nuklearer Waffensysteme. 62 Prozent der staatlichen Forschungsausgaben wurden in diesem Zeitraum für militärische Zwecke ausgegeben. 1990 flössen 70 Milliarden Dollar in die Labors des militärisch-industriellen Komplexes. Nach dem Ende des Kalten Krieges soll sich das nun schlagartig ändern.

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Von 1955 bis 1991 investierten US-Regierungen insgesamt eine Trillion Dollar in die wissenschaftliche Entwicklung neuer, meist nuklearer Waffensysteme. 62 Prozent der staatlichen Forschungsausgaben wurden in diesem Zeitraum für militärische Zwecke ausgegeben. 1990 flössen 70 Milliarden Dollar in die Labors des militärisch-industriellen Komplexes. Nach dem Ende des Kalten Krieges soll sich das nun schlagartig ändern.

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Regierung und Kongreß wetteifern darum, ob der Militärhaushalt für das kommende Haushaltsjahr um 50 (so Präsident George Bush) oder um 100 Milliarden (so Senator Edward Kennedy) gekürzt werden soll. Einigkeit besteht lediglich darin, daß die „Friedensdividende" den zivilen Einrichtungen zugute kommen soll. Über das Wie gehen die ideologischen Meinungen auseinander: Konservative wollen Steuern kürzen, damit der private (reiche) Mann mehr Geld für seinen (gewinnbringenden) Innovationsgeist erhält. Sozial-Liberale wollen unter dem Motto „Amerika wieder aufbauen" in Schulen, Bil-dungs- und Gesundheitseinrichtungen, Straßenbau und in die allgemeine Infrastruktur nach jahrzehntelanger Vernachlässigung investieren.

Politische Konzepte für die Reorganisation der gewaltigen Forschungsund Produktionseinrichtungen des militärisch-industriellen Komplexes gibt es freilich keine. Und wie sich herausstellt, ist diese Reorganisation mit enormen gesellschaftlichen und sozialen Risken verbunden.

Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft warnen daher davor, daß die Hunderttausenden Wissenschafter in den Militärlabors nicht ohne eine neue gesellschaftlich nutzbringende Aufgabe auf die Straße gesetzt werden können. Dieses Heer von Intelligenzlern stellt eine kritische Größe für die Zukunft der USA dar: Denn der militärische Führungsanspruch hat, wie Politiker aller Schattierungen bei jeder passenden Gelegenheit erklären, Amerika nicht allein zu einem triumphalen Sieg über den Kommunismus verholfen, sondern in den letzten Jahrzehnten auch einen unbestrittenen weltweiten wissenschaftlichen und damit technologischen Vorsprung garantiert. Die wissenschaftliche Herausforderung, die Nase immer ein wenig vorne zu haben, ist aber für die ohnehin angeschlagene internationale Wettbewerbsfähigkeit der USA überlebenswichtig.

Nach Schätzungen der amerikanischen In genieurs-Vereinigung sind im Jahr 1991 im gesamten militärischindustriellen Komplex etwa 100.000 Arbeitsplätze für Techniker und Wissenschafter verlorengegangen. In den 69 regierungseigenen Forschungseinrichtungen arbeiten derzeit noch 84.000 Wissenschafter. Die großen Kündigungswellen stehen freilich erst in den nächsten Monaten und Jahren ins Haus. Die wissenschaftliche und technische Zukunft der USA hängt somit wesentlich davon ab, ob dieses Potential an hochqualifizierten Arbeitskräften in die zivile Produktion und Forschung integriert werden kann, oder Beschäftigung in Regierungsprogrammen etwa zum Erhalt der Umwelt findet. Die wenigsten haben es bisher geschafft, sich eine neue Existenz aufzubauen.

Die großen Forschungseinrichtungen, wie zum Beispiel das Lincoln-Labor des weltberühmten Massachusetts Institute of Technology, das in den letzten Jahren an neuen Weltraumsensoren und Methoden der Laserkommunikation gearbeitet hat, die erstmals erfolgreich im Golfkrieg eingesetzt wurden, haben bereits begonnen, sich einen neuen Kundenkreis außerhalb des Verteidigungsministeriums zu suchen. Im Lincoln-Labor wird an einem neuen Flugleitsystem für die amerikanische Luftverkehrsbehörde gearbeitet. Oder das Lockheed-Raketen- und Weltraum-Labor in Sunnyvala, Kalifornien, das bisher die Poseidon- und Trident-Raketen entwickelt hatte, konnte erst unlängst einen Auftrag für eine neue NASA-Raumstation im Wert von einer Milliarde Dollar an Land ziehen.

Jahrzehntelang blieb ein Gutteil der Forschungstätigkeit in den Militärlabors aus Sicherheitsgründen weitgehend unter Verschluß. Auf Spionage und die Weitergabe von Forschungsergebnissen stand die Todesstrafe. Jetzt will die Regierung die Zusammenarbeit der Labors mit der zivilen Industrie fördern. Das Ergebnis fällt freilich sehr mager aus: 1990 lukrier-ten alle 69 Militärlabors zusammen lediglich 9,4 Millionen Dollar aus zivilen Aufträgen, ein winziger Bruchteil der 70 Milliarden, die aus Steuergeldern den Labors zuflössen. Diese enormen Geldmittel stehen heute, so paradox das klingen mag, der Wettbewerbsfähigkeit der Labors vielfach im Wege: Zivile Auftraggeber schrek-ken vor den hohen Forschungskosten in den Militärlabors zurück. Es scheint den Wissenschaftern ungemein schwer zu fallen, nach den Jahren des gewohnten Überflusses sich an Kostengenauigkeit und Effizienz zu gewöhnen, Maßstäbe, die zum Überleben im Wettbewerb am freien Markt aber überlebenswichtig sind.

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