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Keuschheit?

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Wir kommen nun zum sechsten Gebot, das nach Meinung vieler durch die Kirche in der Vergangenheit zum ersten gemacht wurde. Der Text dieses Gebotes lautete im alten Katechismus: ,JDu sollst nicht Unkeusch-heit treiben!“ Unter diesem Titel wurden dann alle Probleme der Sexualität behandelt: begonnen von der Un-schamhaftigkeit über unkeusche Gedanken, Wünsche, Worte und Blicke, Selbstbefriedigung, voreheliche Beziehungen, Ehebruch, Prostitution bis zu den verschiedensten sexuellen Perversitäten.

Was heißt überhaupt Keuschheit, Unkeuschheit? Diese Worte werden heute kaum gebraucht.

Im Brockhaus lesen wir unter Keuschheit“: „(von lat. conscius ,bewußt' über ahd. chuski ,enthaltsam', mhd. kiusche .mäßig, sittsam') die geschlechtliche Enthaltsamkeit im physischen, aber auch im psychischen Sinn: Sie erstreckt sich danach auch auf Verhalten, Reden und Vorstellungswelt! In der kirchlichen Tradition wird sie als Tugend verstanden und galt als Sonderform besonnenen Maßhaltens.“

Das Wort Keuschheit bezeichnet nicht immer und nicht bloß sexuelle Enthaltsamkeit. Es bezieht sich auf das gesamte Verhalten bezüglich der Geschlechtlichkeit.

Dieses Verhalten soll .bewußt' sein; der Mensch soll sich weder blind den sexuellen Antrieben überlassen, noch sie verdrängen. Er soll .mäßig' und .sittsam' sein. Der Mensch soll fähig werden, seine Sexualität zu ordnen, nicht exzessiv das Maß überschreiten.

Die christliche Tradition hat in Zusammenhang mit dem Wort Keuschheit oft auch die Worte Reinheit', Lauterkeit' verwendet. „Selig, die ein reines Herz haben“, Matthäus 5£. Wenn man all dies betrachtet, bezieht sich das Wort Keuschheit zunächst nicht so sehr auf einzelne Taten, sondern auf die gesamte Einstellung zur eigenen Sexualität und auch jener der Mitmenschen.

Unkeusch ist dann, was dieser Grundeinstellung in Gedanken, Wort und Tun widerspricht. Auf diesem Hintergrund wird auch das Wort von Rabindranath Tagore verstehbar. Keuschheit ist ein Reichtum, der einem Uberfluß an Liebe entspringt.“ Wer liebt, der macht weder sich selbst noch den anderen zum bloßen Objekt der Lust. Sexualität soll nicht isoliert und herausgerissen werden aus den gesamtmenschlichen Sinnzusammenhängen.

Aber davon handelt das sechste Gebot ursprünglich nicht. Denn der Urtext dieses Gebotes heißt: Du sollst nicht ehebrechen.

20. Teil einer Serie über die Lebensrelevanz der Zehn Gebote.

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