Sie war in Wien bisher eine unbekannte pianistische Größe. Nur ein sehr solider Ruf eilte ihr voraus, und die Meldung, daß die junge, aus Tiflis gebürtige Pianistin soeben in Italien mit den Leningrader Philharmonikern sich schöne Erfolge erspielt hat: Elisso Wirssaladse, übrigens 1959 bei den Welljugendfestspielen in Wien preisgekrönt und 1962 Moskauer Tschaikowski-Preisträgerin, stellte sich im Konzerthaus mit Ravels D-Dur-Klavierkonzert ,jtir die linke Hand“ vor. Wenn sie schon mit der Linken soviel üppige Klangpracht produziert, so bravourös in donnernden Akkordgängen und kühnen Sprüngen über die Tasten turnt, aber auch soviel zarte Poesie dem Steinway entlockt, was muß sie erst mit zehn Fingern imstande sein, dachte sich wohl mancher. Und auch das zeigte sie in einer Zugabe von Philipp Emanuel Bach (sanfter Anschlag, klare Konturen, strenge musikalische Logik). Eine imponierende Begegnung jedenfalls. Und ich bin sicher, daß man von der
temperamentvollen Pianistin noch viel hören wird.
Diego Masson, Sohn des weltberühmten Surrealistenmalers Andre Masson, früher Schlagzeuger der „Domaine Musicale“, dann Chef der „Musique vivante“, begleitete sie mit dem ORF-Symphonieorchester. Routiniert, aber nicht gerade mit jenen prickelnden, schäumenden Farben, die nun einmal in Ravels Partitur stehen. Vor allem aber ließ er Pierre Bou-lez' „Rituel“, die 1974/75 komponierte Trauermusik auf den Tod des Komponisten-Dirigenten Bruno Maderna grau in grau vorbeigleiten. Woran allerdings das Orchester nicht unschuldig war. Bolulez' Vorstellung mag da von beständig wiederkehrenden Litaneifragmenten und langsam verlöschenden Gebetsformeln inspiriert worden sein. Aber Masson blieb es schuldig, auch aus den feingliedrig durchorganisierten Details, die durch ein Blechbläserband zusammengehalten werden, ein Ganzes von vibrierender Atmosphäre zu gestalten.
