In einer Zeit empfundener Verunsicherung ist die Sehnsucht nach menschlicher Wärme und gemeinschaftlichem Halt groß. Es verwundert daher nicht, wenn Wahlslogans den Gegensatz zwischen „den anderen“ und „unseren Leuten“ oder zwischen „Menschen“ und „Konzernen“ ansprechen; und vor allem, dass der Wunsch nach einem „sozialen Europa“ groß ist. Dass den Schwächeren in ihren Problemen durch die Stärkeren geholfen werden soll, ist Konsens. Was aber bedeutet dies für das „soziale Europa“? Kann man diese Idee auf finanzielle Unterstützung in Kohäsionsfonds (von denen in Österreich das Burgenland enorm profitiert hat) und Rettungsschirme in Währungskrisen (von denen nordische Länder kurzfristig, mediterrane Länder langfristig profitieren) – oder, wie es immer angedacht wird, auf Vergemeinschaftung nationaler Schulden reduzieren? Der lateinische Wortstamm „soz-“ geht weit über den Gedanken von Unterstützung in Notlagen hinaus und signalisiert allgemein „Verbunden-Sein“, „Zusammenhalt“ und „Zusammengehörigkeit“. Ein soziales Europa ist für mich ein Europa, das die Unterschiedlichkeit der Menschen und der Gesellschaftsordnungen schätzt. Weder das Schüren von Neid noch die Verhärtung von Standpunkten, auch nicht die selbstgerechte Attitüde des BesserWissens oder die Überheblichkeit vermeintlich hochwertiger moralischer Positionen dienen dem Zusammenhalt der europäischen Gesellschaften. Um Lösungen regionaler, mitgliedsstaatlicher und gesamteuropäischer Themen muss in Abwägung von Zielkonflikten und unter bewusster Inkaufnahme und Akzeptanz von Unvollkommenheit gerungen werden. Zuspitzung und Provokation dienen dem Zusammenhalt nicht. Sozial ist, das wechselseitige Verständnis zwischen Menschen und Gruppen zu fördern, das Gemeinsame wachsen zu lassen und Polarisierungen eine Absage zu erteilen.
Der Autor ist Professor für Arbeits- und Sozialrecht und Leiter des Instituts für Familienforschung