Kein Satz ist ein Satz

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Der politische Diskurs ist kompliziert geworden. Keine Aussage ist zu nehmen, wie sie ist. Das ist nicht nur dem aktuellen Wahlkampf geschuldet, sondern auch dem polarisierten Kampf um politikkulturelle Hegemonie, um aufmerksamkeitserregendes Vokabular, um festlegende Unverbindlichkeit – und (letztlich) um Macht.
Ein geäußerter Satz könnte (1) wörtlich genommen werden – aber an der jeweiligen „Sache“, an Themen und Argumenten, ist kaum jemand interessiert. Der Satz ist (2) viel eher als gefühliger, stimmungserzeugender Input in die öffentliche Szene zu sehen und oft so beabsichtigt: Anhänger (und mögliche Wähler) sollen sich gut fühlen. Vokabular und Redeweise sind (3) zugleich Verortung im weltanschaulichen Raum: Man platziert sich. Man rückt ein wenig nach rechts oder links, spricht diese oder jene Gruppe an, pariert eine Attacke des Gegners. Politische Sätze sind (4) Aufmerksamkeitserzeuger: deshalb oft um sprachliche Originalität bemüht, um Übertreibung, um Kantigkeit und Provokation (was nicht selten schiefgeht). Man braucht Medienpräsenz und muss dem Langeweilevorwurf entgehen. Politische Sätze werden (5) in der Kommentatorenszene fast ausschließlich als parteistrategische Signale verstanden: Was ist die hintergründige und eigentliche Absicht? Genug „Angriffigkeit“? Welches Vokabel ruft welche Anklänge, Assoziationen oder Referenzen wach, und inwieweit sind diese gezielt gesetzt? Der politische Gegner schließlich prüft (6) jede Aussage am entscheidenden Kriterium: Kann man daraus einen kräftigen Vorwurf gestalten? Ein bewusstes Missverständnis generieren? Das Wort im Mund umdrehen?
Schließlich gehört es (7) zum selbstverständlichen Spiel, die vorigen sechs Kategorien zu verwechseln und falsch zu etikettieren. Das ist politische Notwendigkeit bei den Sprechern, erwartbare Heuchelei beim politischen Gegner und lustvolles Vertauschungsspiel bei den Medien.

Der Autor ist Soziologe an der Universität Graz

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