Verfeindungsbedürfnis

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Das waren noch Zeiten, als man die Aufklärung im Aufschwung wähnte. Mittlerweile fallen ihre Reste einer Geisteshaltung zum Opfer, die man als sich epidemisch ausbreitendes Verfeindungsbedürfnis bezeichnen kann. Carl Schmitt, so hätte man gedacht, sei als Denker der Zwischenkriegszeit in eine unrühmliche Vergangenheit versunken; doch nein: Sein sachlich völlig undefiniertes Freund-Feind-Verhältnis ist nicht nur eine brauchbare Kategorie, sondern zu einem aktuellen Gefühlselement der Massen wie der Eliten geworden. Der Feind ist nicht ökonomisch, sozial, rassisch, religiös oder anderweitig definiert – der Feind ist der Feind, weil er der Feind ist. Man braucht den Feind. Zum Feind kann jeder und jede werden, wie sie gerade des Weges kommen.

Es ist die Freude an der Beschimpfung, Verhöhnung, Diskreditierung und Vernichtung, die zu einem Kennzeichen des Gegenwartsbewusstseins geworden ist. Respekt ist out. Man mag das Vernichtungsverfahren mit Shitstorms betreiben, mit medialen Mitteln, mit vorgeblich rechtlichen Methoden, mit Raunen oder Brüllen. Kraftquelle sind Entrüstungsbereitschaft und Erregungsfreude, die bei Themen oder Anlässen keine Relevanzunterschiede kennen. Man kann jede Kleinigkeit zum Weltskandal aufblasen.

Man soll ja keine überzogenen Rationalitätsvorstellungen haben: Aber auch die verständige Konfliktaustragung, bei der man sich in die Position des anderen versetzen konnte; der Meinungsstreit, bei dem ein Kompromiss angepeilt wurde; die agree-to-disagree-Variante – diese und andere zivilisierte Formen sind überholt von der Vernichtungsfreude.

Man will (zumindest metaphorisch) Blut sehen, natürlich mit den lautersten moralischen Begründungen. In unserer Zeit sind viele Killer unterwegs.

Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Graz.

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