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Körpersprache und Engagement

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El Campesino ist das Theater der „Chicanos“, einer mexikanischen Minderheit im Süden der Vereinigten Staaten. Diese Chicanos sind Landarbeiter, die in der Hoffnung aufbessere Lebensverhältnisse nach Amerika emigriert sind. Fremdarbeiter ohne rechtlichen Status, die meisten haben keine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung. Rechtlose, die man ausnützen, ausbeuten kann, die man abstoßen kann wie eine Ware, wenn man neue, unverbrauchte Arbeitskräfte zur Hand hat.

„Teatro El Campesino“ - das ist totales Theater, Körpertheater, Theater, das mit wenigen Mitteln eine neue Sinnlichkeit auf die Bühne bringt, Theater, das sich engagiert, das einen Auftrag hat, hinter dem die Schauspieler stehen - aus persönlichen Motiven.

Um die Problematik der Landarbeiter geht es auch in dem Stück „La Carpa de los Rasquachis“ (Die Baracke des Lumpenproletariats). Erzählt wird die Geschichte eines Mexikaners, der nach den USA emigriert, voll Hoffnung, voll Vertrauen in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Die Geschichte eines Betrogenen, der zusehen muß, wie seine Träume zerrinnen, der sich „aus den Fängen des Kapitals nicht mehr befreien kann“. Er steht von Anfang an auf der Verliererstraße; kann nur noch absteigen, gedemütigt, gepeinigt werden. Begleitet wird er auf seinem Leidensweg vom Teufel und vom Tod. Er erkennt beide nicht hinter ihren Masken. Der Teufel Kapitalismus mit seinen vielen Gesichtern wird sein Vasall. Ein Vasall, der eigentlich ein Henker ist, ein Falschspieler. Der Mexikaner selbst trägt einen Strick um den Hals; auch den bemerkt er nicht. Ein moderner Jesus.

Und der Landarbeiter ersteht auch von den Toten auf - wie Jesus. Im „zweiten Leben“ solidarisiert er sich mit seinen Arbeitskollegen, lehnt er sich auf gegen die Grundbesitzer, ergreift die Macht. Ein theatralisches Ende, ein Happy-End, das beklemmt, das im Illusionären steckenbleibt. Der Anspruch auf Verwirklichung wird gar nicht erst erhoben. Das Ganze soll Symbol sein für die Notwendigkeit der Solidarisierung, des Kampfes, der Auflehnung gegen die Grundbesitzer, gegen eine Mafiagewerkschaft, gegen einen korrupten Sozialstaat.

Ein Ende mit Musik, mit aggressivfröhlichen Liedern, ein Volksfestschluß. Das will El Campesino auch -die Wiederbelebung des kritischen Volkstheaters, das den Kontakt zum Publikum sucht, das von seinem elitären Podest heruntersteigen soll, Theater, das Anstoß geben soll zur politischen Aktion. Und auch Theater, das unterhalten soll, das Sinnlichkeit und Körperlichkeit vorleben soll. „Armes Theater.“

In den USA zieht El Campesino von Dorf zu Dorf, spielt den Landarbeitern vor, diskutiert mit ihnen, baut deren Problematik ein, setzt sie um in theatralische Handlung. Sie wollen Instrument der Bewußtwerdung sein, Instrument des direkten Kampfes, sie wollen aber auch nicht in simpler Agitation erstarren. Sie können Theater spielen, einfaches, verständliches Theater, das packt, das berührt, das selbst uns Europäern neue Erfahrungen vermittelt. Volkstheater, wie man es sich vorstellt.

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