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Laborversuch

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Wer sind wir denn eigentlich? Sind wir, was die gesellschaftliche Situation, in die wir geboren wurden, bedingt, was die Erziehung aus uns machte, was der Beruf erfordert? Darum geht es in dem Stück „Das Zimmer” von Lida Winiewicz, das im Kleinen Theater im Konzerthaus zur Uraufführung gelangte.

Angerechnet durch eine Erzählung von Xavier de Maistre wird dies an der Herr-Diener-Beziehung exemplifiziert, dargeboten wie bei einem Laboratoriumsversuch unter für die Fragestellung besonders günstigen Bedingungen. Anno 1820, italienische Kleinstadt: Graf Xavier de Maistre, Leutnant, hat nach dem einundzwanzigsten Duell sechs Wochen Hausarrest, bekommt einen Haftkoller, benimmt sich unerträglich seinem geduldigen Diener gegenüber, alles fällt von ihm ab, der Graf, der Offizier, auch der Herr. Was ist er also? Er tauscht mit dem Diener die Kleidung, läßt sich als Diener behandeln, es wird ihm durch die Kinderfrau, die ihn nach dem frühen Tod der Eltern zu sich nahm, bewußt, daß ihn diese Frau unter Entbehrungen zu einem „Herrn” aufzog, ihn Offizier werden ließ. Herr, Offizier, aber nicht Mensch, so heißt es da. Was ist er also? In einem weiteren Duell erschießt sich Xavier mit Absicht selbst.

Soll die Vorstellung vom „Herrn” desavouiert werden? Hier scheint es so. Herr und Diener, anders gesagt, Beherrschender und Beherrschter, das ist offenbar abzuschaffen. Schön wärs, gerade in unserem Zeitalter weltweiter Gewaltstaaten. Wo bleibt nun wirklich der Mensch? Er ist nicht zu finden, das zeigt Lida Winiewicz. Aber erschießt sich Xavier deshalb? Problembedingt, theoretisch: Ja. Im faktischen Fall: Kaum. Aber das Stück hat einen Schluß.

Regisseur Hermann Kutscher setzt immer wieder Sordiniertheit ein, um die Problematik möglichst spürbar zu machen. Christian Kohlund glaubt man zunächst das Herrische des Xavier, dann die Verstörtheit. Ludwig Hirsch bleibt als Diener berechtigt verhalten. Gute Leistungen der weiteren Mitwirkenden. Wolfgang Müller- Karbach entwarf das wirkungsvolle fragmentarische Bühnenbild und die V o rhang-P roj ektion.

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