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Lesereise

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Jetzt, da uns die russische Problematik beinahe täglich näherrückt, auch wieder oft vom abgenutzten Begriff der „ russischen Seele" die Rede ist, ist die Herausgabe dieser Erzählungen aus vorrevolutionärer Zeit sehr verdienstvoll. Der Verlag hat den Versuch gewagt, eine ansprechend gestaltete Auswahl aus der literarischen Klassik von Alexander Puschkin über Fjodor Dostojewskij bis hin zu Isaak Babel zu treffen. Sie vermag dem Leser einen ersten Überblick über die dichterischen Grundströmungen vor allem des 19. Jahrhunderts zu geben, und ihm so auch neue Aufschlüsse zur russischen Kulturgeschichte und Politik zu vermitteln.

In vielen Erzählungen wird die

Heterogenität der Volksmentalität direkt angesprochen, die stets zwischen Resignation vor der Obrigkeit oder der sozialen Misere, aber auch dem Aufbegehren gegen jede Konvention zu schwanken scheint. Besonders jedoch drückt Dostojewski] mit seiner genialen Introspektion den Zustand einer Psyche höchst schlüssig aus, die - freilich wohl mehr sozial- als metalitätsbe-dingt - weder in der Rationalität des Westens noch in der tradierten religiösen Ergebung des Ostens einen Ausweg finden kann.

Tiefe Skepsis, Melancholie des Unvermögens und die liebenswerte Schilderung der Welt des sogenannten kleinen Mannes zeichnen diesen bedeutenden Zweig der Weltliteratur aus. Ein übersichtliches Autoren- und Werkeverzeichnis beziehungsweise das verständige Nachwort des Herausgebers ergänzen den Band, dem weiteste Verbreitung zu wünschen ist.

GESCHICHTEN AUS RUSSLAND. Herausgegeben von Christian Graf. Philipp Reclam Verlag, Stuttgart 1990.375 Seiten, öS 171,60.

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