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Lose Beziehungen - beziehungslos

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Ein durchschnittlicher Stadtbewohner unterhält heutzutage persönliche Beziehungen zu bloß etwa 35 Menschen. Das mag dem einen oder anderen genug erscheinen. Aberdiese Zahl allein sagt wenig aus, und schon das Leitmotiv des ersten Kapitels dieses Buches erklärt den Mangel, und damit eine der maßgeblichen Grundhaltungen des modernen Menschen im Westen: „Nicht mit dir und nicht ohne dich..." Und wenig später wird festgestellt, daß das Lösen traditioneller Bindungen erst zeigt, wie stark wir auf sie nach wie vor angewiesen sind, wobei bislang als typisch „weiblich" erachtete soziale Talente für das seelische Wohlbefinden in solchen Situationen von großem Vorteil sein können.

Später gibt es im Text ein „Lernziel Autonomie", aber während des Erreichens desselben lernt man eher die Macht des Irrationalen kennen als Selbstherrlichkeit. Genau jene Irrationalität ist es dann, die den jeweils größeren Freiraum, den man sich durch geringere soziale Bindungen schafft, umschlagen läßt in die Identitätskrise des Vereinsamten. Der moderne Mensch beginnt in der Rolle des Zuschauers, die er selbst gewählt hat, zu leiden.

Eine Betrachtung über Eltern-Kind-Beziehungen, über das „Risiko Kind" schließen einen guten Überblick über die zunehmende Auflösung traditioneller Bindungsformen ab. Die Autorin bietet keine Patentrezepte an, aber es wird jeweils freier Raum gelassen für jeden, den ihm gemäßen „Regenerationsweg" einzuschlagen und mit der Veränderung der Welt erst einmal bei sich zu beginnen.

DIE KÜHLE GESELLSCHAFT. Von der Unmöglichkeit der Nähe. Von Claudia Szczes-ny-Friedmann. Verlag Kösel, München 1991., 213 Seiten, öS 232,40.

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